Verzögerter Verfolgungseifer in Sachsen

Politiker wartet drei Jahre nach Dresdner Antinazi-Protest auf Prozess / Bisher 99 Blockierer bestraft

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Der Eifer war immens, mit dem die Justiz in Sachsen nach Protesten gegen eine Nazidemo am 19. Februar 2011 in Dresden gegen Blockierer vorging. Tausende Menschen hatten versucht, sich den Nazis in den Weg zu stellen. Versuche der überforderten Polizei, diese und die Protestierer zu trennen, scheiterten; es gab Rangeleien. Noch am Tag der Proteste wurden Zigtausende Handydaten erfasst; es gab eine – später als rechtswidrig eingestufte – Razzia in der Stadtzentrale der LINKEN. Später leitete die Staatsanwaltschaft viele Verfahren ein, allein wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz waren es 465.

Ein Großteil der Verfahren war schnell abgeschlossen: 306 Fälle hatte die Staatsanwaltschaft noch 2011 abgearbeitet, weitere 76 im Folgejahr. Die Bilanz fällt aus der Perspektive der Verfolgten durchwachsen aus. Von den Verfahren endeten 248 in einer Einstellung des Verfahrens, weil entweder eine Straftat überhaupt nicht nachgewiesen werden konnte oder die Schuld gering war. Von 287 Verfahren, die gegen namentlich bekannte Beschuldigte geführt wurden, mündeten allerdings bisher auch 99 in eine Sanktion: 83 Verfahren wurden nur gegen Auflagen eingestellt; zudem sind zehn Strafbefehle rechtskräftig, und in sechs Fällen gab es rechtskräftige Verurteilungen durch Gerichte.

Eine nicht unerhebliche Zahl an Verfahren ist aber auch drei Jahre nach den Protesten noch nicht abgeschlossen, darunter jenes gegen Falk Neubert, Landtagsabgeordneter der LINKEN. Er hatte sich an friedlichen Aktionen in der Nähe des Hauptbahnhofs beteiligt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte über ein Jahr. Im September 2012 hob das Parlament Neuberts Immunität auf. Erst nach Rügen von dessen Anwalt André Schollbach wurde die Behörde wieder aktiv und beantragte im Juli 2013 einen Strafbefehl am Amtsgericht. Neubert akzeptiert das nicht. Er ist »überzeugt, dass mein Handeln vom Grundgesetz gedeckt war«.

Nun ruht der Fall bei Gericht. Schollbach hat daher erneut eine Verzögerungsrüge formuliert. Es sei »auffällig«, dass die Behörde nur im »Schneckentempo« arbeitet, sagt der Anwalt. Er weist auf die Gefahr hin, dass Neubert der Prozess just »im Vorfeld der Landtagswahl gemacht« und er so in seinen Wahlchancen beeinträchtigt werde. In Sachsen wird am 31. August der Landtag gewählt. Anfang April nominiert die LINKE ihre Listenbewerber; über die Direktkandidatur in Mittelsachsen, um die sich Neubert bewirbt, wird Anfang März entschieden. Schollbach drängt die Justiz deshalb zur Eile, stellt aber zugleich klar, dass sein Mandant keiner strafrechtlichen Sanktion zustimmen werde: »Er wird sich nicht beugen.«

Statt dessen wird sich Neubert auch 2014 engagieren: Er ist erneut Anmelder eines »Mahngangs Täterspuren«, mit dem am 13. Februar anlässlich des Jahrestag der Zerstörung Dresdens an Orte erinnert wird, die in der Stadt mit der NS-Diktatur verknüpft sind. Dieser »Mahngang« ist fester Bestandteil der Proteste gegen die Naziaufmärsche und den dort gepflegten Opfermythos.

Die Blockaden haben die Nazis freilich in ihrem Eifer deutlich gebremst: 2014 wollen sie erstmals nur eine stationäre Kundgebung durchführen, allerdings an der Frauenkirche. Das Rathaus will in der nächsten Woche entscheiden, wie es mit der Anmeldung umgeht. Unabhängig vom Ausgang ruft das Bündnis »Dresden nazifrei« zu zahlreicher Teilnahme an Protesten. Beim Mahngang rechnet Neubert nicht mit Problemen: Die Veranstaltung werde »ohne jede Einschränkung stattfinden können«, sagte er am Freitag.

Was sein Verfahren wegen der Blockade 2011 angeht, dürfte es für Neubert nur ein schwacher Trost sein, dass die Mühlen der Justiz in manchem Fall noch langsamer mahlen. Im Prozess gegen Bodo Ramelow, den LINKE-Fraktionschef in Thüringen, wegen der Blockade im Jahr 2010 hatte es für 21. Januar einen Gerichtstermin in Dresden gegeben, der aber wieder abgesagt wurde. Ramelow nannte dieses Vorgehen auf nd-Anfrage »schikanös«.

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