Drei Stunden Nachdenken über ein Nein

Der ukrainische Präsident Janukowitsch bot Jazenjuk, Klitschko und Co. die höchsten Regierungsämter an

  • Manfred Schünemann
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Hoffnung auf Annäherung erstarrt im Kiewer Dauerfrost. Ein Angebot der Regierung läuft ins Leere. Die Ukraine versinkt im Chaos, doch die Opposition will sich nicht auf Janukowitsch einlassen.

Am Ende der dritten Verhandlungsrunde mit den Oppositionsführern zur Beendigung der Gewaltausbrüche und zur Lösung der innenpolitischen Krise überraschte Präsident Viktor Janukowitsch mit dem Angebot an Arseni Jazenjuk und Vitali Klitschko, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Das Erstaunen war nach Informationen aus dem Regierungslager so groß, dass Jazenjuk den Präsidenten bat, mit der Veröffentlichung des Angebotes bis zur Rückkehr der drei Oppositionspolitiker auf den Unabhängigkeitsplatz zu warten.

Es dauerte dann über drei Stunden, bis die drei vor die Protestanhänger auf dem Maidan-Platz traten und die Vorschläge des Präsidenten zurückwiesen. Sie hatten die Zwischenzeit ganz offensichtlich gebraucht, um sich mit ihren westlichen Beratern abzustimmen und eine weitgehend einheitliche Linie zu vereinbaren. Bezeichnend ist, dass Klitschko als erster auftrat und die Linie vorgab, »die Verhandlungen werden fortgesetzt, aber auf Provokationen aller Art falle man nicht herein«. Erst danach erklärte Jazenjuk, dem Präsident Janukowitsch das Amt des Ministerpräsidenten angetragen hatte, die Opposition »scheue sich nicht davor, Regierungsverantwortung für das Schicksal des Landes zu übernehmen, aber nicht solange die Forderungen der Opposition nicht erfüllt seien«.

Mit seinen Vorschlägen hat Janukowitsch einen taktisch klugen Schachzug in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen, die unvermindert andauern, gemacht, behält er damit doch die Verhandlungsinitiative und gewinnt weitere Zeit. Außerdem beugte er sich damit auch den Überlegungen des einflussreichen Oligarchen Rinat Achmetow, der ein stärkeres Einlenken angemahnt hatte. Auch Janukowitsch war sicherlich von vornherein klar, dass die Opposition auf seine unrealistischen Vorschläge nicht eingehen wird. Zu offensichtlich war die Absicht, mit einem Bauernopfer die Opposition in die Verantwortung für die Überwindung der tiefen politischen Krise einzubinden, die latente Zwietracht zwischen den drei Oppositionsparteien zu vertiefen und die aussichtsreichsten Konkurrenten im Wahlkampf um das Präsidentenamt, Jazenjuk und Klitschko, wenn nicht auszuschalten, so aber doch in den Augen ihrer Anhänger nachhaltig zu diskreditieren.

Zugleich wird deutlich, dass Janukowitsch zu weitgehenden Kompromissen bereit ist, wenn seine Machtstellung bis zur Präsidentenwahl unangetastet bleibt und Änderungen des politischen Kurses, der Reformgesetze und der Verfassung nur mit seiner Zustimmung erfolgen. Es wird aber auch immer klarer, dass sich darauf die Oppositionsparteien nicht einlassen werden.

Somit bleibt als einzig reale Möglichkeit die Fortsetzung der Verhandlungen über die Hauptforderungen der Opposition: Freilassung der Festgenommenen; Amnestiegesetz; Änderungen im Wahlgesetz; Rückkehr zu den Verfassungsregeln von 2004/05 zur Einschränkung der Macht des Präsidenten und Stärkung der Rolle des Parlaments.

Am Ende dieser Verhandlungen könnte dann als weiteres Zugeständnis von Seiten des Präsidenten die Zustimmung zu vorgezogenen Präsidentenwahlen stehen. Ob solche einvernehmlichen Regelungen zustande kommen, hängt aber auch davon ab, ob es den Oppositionspolitikern gelingt, die radikalen Kräfte in der Protestbewegung unter Kontrolle zu halten und Gewaltaktionen gegen staatliche Einrichtungen und Verwaltungsstrukturen zu verhindern.

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