Der Sonntag des Herrn Blatter

Die Zahl der Toten auf den Baustellen der Fußball-WM 2022 in Katar steigt auf 382

Was macht Joseph Blatter eigentlich an solch einem Sonntag? Der Präsident des Fußballweltverbandes FIFA twittert Glückwünsche an seinen Landsmann Stanislas Wawrinka, der in Melbourne überraschend die Australian Open der Tennisprofis gewonnen hatte. Sehr glücklich seien alle Schweizer an diesem Tag. Und er lässt sich einträchtig ablichten mit Witali Mutko, dem Sportminister Russlands und Vorsitzenden des Lokalen Organisationskomitees der Fussball-WM 2018. Blatter berichtet von einem »sehr positiven Besuch in Sankt Petersburg«, und ja, er freue sich schon auf das baldige Wiedersehen bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi.

Was sollte Jospeh Blatter vielleicht an solch einem Sonntag tun? Er könnte sich Gedanken zur Fußball-WM 2022 machen. Die britische Zeitung »The Guardian« hatte am Sonnabend berichtet, dass es auf den Baustellen für das Turnier in Katar mindestens 36 weitere Todesfälle gegeben hat. Demnach seien allein 2013 bereits 185 nepalesische Gastarbeiter umgekommen, in den vergangenen zwei Jahren insgesamt 382.

Täglich zwölf Arbeitsstunden bei brütender Hitze, schlechter Versorgung und menschenunwürdiger Unterbringung: Die meisten starben an Herzversagen. Die Dunkelziffer könnte noch weitaus höher sein. Nur knapp ein Sechstel der ungefähr zwei Millionen Gastarbeiter in Katar kommt aus Nepal. Wie viele Opfer es unter Indern, Pakistanis oder aus Sri Lanka gibt, ist nicht bekannt. Im Fall der toten Gastarbeiter aus Nepal beruft sich der »Guardian« auf Regierungsdokumente des Staates. Bei der Aufklärung hilfreich war dabei die Arbeit der nepalesischen Organisation Pravasi Nepali Coordination Committee, die für die Rückführung der Leichen in die Heimat zuständig ist.

Joseph Blatter meldete sich am Wochenende tatsächlich zu Wort: »In Katar müssen zügig und dauerhaft durchweg faire Arbeitsbedingungen eingeführt werden. Die verantwortlichen Stellen haben sich verpflichtet, das Arbeitssystem und die entsprechende Gesetzgebung zu ändern, um humanitäre Arbeitsbedingungen für alle zu schaffen.« Gedanken hat sich der FIFA-Präsident aber scheinbar nicht gemacht. Vielmehr zeugen seine Worte von Desinteresse und Gleichgültigkeit. Denn erstens lehnt er eine Verantwortung weiterhin konsequent ab; und zweitens denkt er nicht im Geringsten daran, seinen katarischen Geldgebern mit Konsequenzen zu drohen. Als der »Guardian« Ende September die ersten Todesfälle aufgedeckt hatte, antwortete der Weltverband auf nd-Nachfrage: »Die WM ist erst in neun Jahren. Wenn wir objektiv sind, geht es in diesen Fällen gar nicht um die FIFA.«

Diese Politik der Ignoranz zieht der Weltverband durch. Perfide wird es, wenn er Werte spricht: »Die FIFA glaubt an die positive Macht, die die Weltmeisterschaft in Katar als Plattform für soziale Veränderungen haben kann, einschließlich der Verbesserung der Arbeitsrechte und der Bedingungen für Gastarbeiter.«

Worauf der Weltverband seine Hoffnungen gründet, bleibt ein Rätsel. Darauf, dass sich die Veranstalter zu Verbesserungen verpflichtet hätten? Diese reagierten auf die neuesten Schreckensmeldungen wie folgt: »Das Organisationskomitee bleibt von dem Wohlbefinden, der Gesundheit, Sicherheit und Menschenwürde von jedem Arbeiter bei einem WM-Projekt überzeugt.« Gleichsam skrupellos berichtet das WM-OK von dem Erfolg der Arbeiter-Charta, die zusammen mit Human Rights Watch und Amnesty International besprochen worden sei. Beide Menschenrechtsorganisationen haben nach eigener Auskunft solch ein Papier noch nie gesehen.

Die düstere Prophezeiung des Internationalen Gewerkschaftsbundes ITUC, dass auf den WM-Baustellen mehr Arbeiter sterben könnten, als die 736 Fußballer, die 2022 an dem Turnier teilnehmen, ist erschreckend. Die Realität ist es auch.

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