Londons Taxis fremdgesteuert

Die berühmten großen Schwarzen sind heute weithin frei von englischer Ingenieurskunst

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Die schwarzen Taxis mit der geräumigen Rückbank stehen für London wie Big Ben. Umso schmerzlicher muss es für patriotische Briten sein, dass die Cabs zunehmend im Ausland gefertigt werden.

Nicht nur London als Hauptstadt verliert zunehmend seinen nationalen Charakter und wird mehr und mehr Globalmetropole. Auch eine der prägendsten Marken Londons, auf einer Stufe mit Unikaten wie Big Ben oder Buckingham Palace, ist im Stadtbild zwar allgegenwärtig, ihre englische Herkunft aber hat sie verloren: das schwarze Londoner Taxi. Die Mobilbehausung verstrahlt nach wie vor englischen Charme - geräumige Beinfreiheit, Trennscheibe zwischen Fahrer und Fahrgast sowie legendäre Höflichkeit des Chauffeurs -, doch mit britischer Ingenieurskunst hat sie wenig zu tun. Das war schon in jüngerer Vergangenheit so, als Fahrgäste beim Ruf nach einer der klobigen, aber manövrierfähigen Benzinkutschen die Wahl zwischen einem deutschen und einem in China gefertigten Modell hatten. Bald kommt ein weiteres auf die Straßen. Aber auch dieser dritte Anbieter verschafft patriotischen Briten keine Erleichterung, denn auch er kommt, ab Jahresende, nicht von der Insel, sondern von Nissan aus Japan.

Von den fast 23 000 Taxen Londons stammen laut »Süddeutsche Zeitung« 90 Prozent aus der Produktion »des traditionellen Cab-Herstellers Manganese Bronze aus Coventry«. Der ist mittlerweile jedoch entgegen erster Anmutung so unenglisch wie fast alle klassischen britischen, in fremder Hand befindlichen Automarken. Dieser Umstand erinnert daran, wie weit die Entindustrialisierung in der Heimat der Industriellen Revolution gediehen ist. Manganese Bronze war 2012 Pleite gegangen, die Taxisparte vom chinesischen Autohersteller Geely aufgekauft und 2013 in Coventry wieder aufgenommen worden. Der Anbieter nennt sich seitdem The London Taxi Company (LTC), doch Hinweis auf etwaige Renaissance britischer Ingenieurs- und Autobauerkunst ist das mitnichten.

Heute ist der Chef nahezu jeder britischen Automarke Deutscher. Die »Times« verband damit ein Unbehagen: »Eine teutonische Übernahme von einigen der weltweit beliebtesten Automarken - die Deutschen besitzen und managen Bentley, Rolls-Royce und Mini - könnte Grund zur Sorge sein. (…) Doch die unangenehme Wahrheit lautet, dass die neuen Manager in randlosen Brillen viel mehr Erfolg bei der Fertigung englischer Autos haben als die Jungens, die ihre Vorgänger waren und Bob oder Dave hießen.« Gleich mehrere Deutsche haben zuletzt Chefsessel bestiegen: Franz-Josef Paefgen ist Boss von Bentley, Ulrich Bez bei Aston Martin, Jochen Goller bei Mini (BMW gehörig), und Torsten Müller-Ötvös lässt sich in die Fauteuils von Rolls-Royce fallen, das bei VW zu Buche steht. Eigentümer von Jaguar-Land Rover ist der Chef von Indiens Autokonzern Tata, der seinerseits mit Ralf Speth einen deutschen Manager ernannte.

Auch bei Londons Taxis mischen deutsche Unternehmen mit. Etwa zehn Prozent der großen Schwarzen werden derzeit von Daimler verkauft. Demnächst werden Chinesen und Deutsche nun noch von Nissan unter Druck gesetzt, u. a. mit dem Preis. Ein Nissan-Manager sagte, das Cab werde billiger als die Autos von LTC und Mercedes sein. Während dies vor allem Taxi-Betreiber interessiert, wird Kunden - täglich bis 320 000 - mehr die Zusicherung Nissans gefallen, dass das neue Modell »so bequem und zuverlässig wie der London-Klassiker ist - und so aussieht«. Ohnehin gelten für Londons Taxis viele Sondervorschriften. Seit 1906 ist vorgeschrieben, dass sie wegen vieler enger Straßen rund um die Themse einen Wendekreis von höchstens 7,60 Meter haben dürfen.

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