Kegelabend, Lebensabend

Der Berliner Rapper Grim 104 erzählt auf seinem Debütalbum von der Trostlosigkeit der Provinz

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 6 Min.

Ein bereits seit einiger Zeit notleidender Patient bzw. Problembär ist der deutschsprachige HipHop. Seit Jahren wünscht man sich einen Intelligenzschub in der Szene. Die einen, die Kollegen von der Zeckenrap-Fraktion - und dazu gehören etwa Künstler wie Johnny Mauser (»Wir sind die Mauer! Das Volk muss weg!«) oder Captain Gips (»Egal, was sie sagen / Du hast es richtig gemacht / Vergiss Deutschland«) rappen gegen die alltäglichen Zumutungen des Kapitalismus bzw. die »rassistisch-sexistische Kackscheiße« und den deutschen Leitkulturblödsinn. Mittelpunkt ihres Lebens ist die Antifa-Demo, ihre Kunst ist ohne ihr linkes politisches Engagement nicht denkbar. Ihr Kaltgetränk ist ihnen wichtiger als Deutschland. Das ist zweifelsohne eine vernünftige Einstellung. Ihre Texte, oft gut gemeinte Mischungen aus Gesellschaftskritik und Revoluzzerromantik, sind nicht besonders filigran gearbeitet oder geistreich, erschöpfen sich aber meist in linksagitatorischer Abiturientenlyrik oder der Wiedergabe der einschlägigen Parolen aus dem linken Phrasenlabor. Empörungsmodus anschalten, Zeigefinger nach oben. Fertig ist die Laube.

Dennoch ist es ehrenwert, was die Zeckenrapper produzieren. Sich als ideologiekritisch verstehende Musik ist bitter notwendig in einem Land, in dem die Mehrzahl der derzeit 14-jährigen noch keinen eigenen Gedanken hatte und von der herrschenden Bildungspolitik und den Medien (Youtube, RTL 2 usw.) systematisch daran gehindert wird, sich einen zu machen. Doch das große Erweckungserlebnis ist diese Musik nicht.

Die anderen wiederum, im peinlichen Bemühen, die US-amerikanischen Gangsta-Rapper nachzuahmen, widmen sich gern dem öffentlichen Penisfechten, markieren gern den dicken Maxe und reproduzieren in ihren Texten meist stumpf die herrschende FDP-Leistungsideologie und den Mythos vom Underdog, der sich qua Lautstärke und Durchsetzungsvermögen nach »ganz oben« kämpft bzw. dorthin, wo ihrer zum Schreien naiven Kindergartenvorstellungswelt zufolge »ganz oben« ist: fett Kohle, dickes Auto, scharfe Braut. Und weil in ihrem Gestammel auch ungustiöse Worte für »Pimmel« vorkommen, halten sie sich womöglich für tabubrecherisch. Ohne allzu viel von irgendetwas zu schnallen, kultivieren sie ihren Stolz aufs eigene armselige Mackertum und Dumpfbackengerede. Von ihren Texten bleibt, zieht man einmal die pubertären Allmachtsphantasien und die immergleichen, öden Invektiven gegen Schwule oder Frauen ab, nicht viel übrig.

Schlimmstenfalls hat man es mit publicitysüchtigen Schlagerfuzzis wie Bushido zu tun, die heute eher als nervtötendes Talkshow- und Medienphänomen denn als Rapper wahrgenommen werden. Bushido kann heute sozusagen als der Hans-Ulrich Jörges des Rap gelten: kritikfern, gesellschaftsaffirmativ, illiterat, gedankenabstinent. Einer, der stets, wenn er den Mund aufmacht, Reklame für sich selbst und die eigene Beschränktheit macht. Wen gibt’s noch? Den Schunkel- und Pathosrapper Casper, auf dessen aktueller Platte die »taz« die »Bierzeltmusik von morgen« erkennen will, oder den Optimismusonkel Cro, eine Art Niedlichkeitsbeauftragten der Szene. Das desillusionierende Panorama der Perspektivlosigkeit und Langeweile dagegen, das der Rapper Grim 104 auf seinem 30-minütigen Album zeichnet, unterscheidet sich von all dem wohltuend. Erholsam auch, dass er sich bei seinen Erkundungen der kaputten Gesellschaft weder der toten Graubrotsprache der linken Flugblätter und Forderungskataloge bedient noch des stereotypen, debilen Halbwüchsigengestotters der Gangsta-HipHop-Trottel.

Grim 104 ist da anders. Auf seiner Debüt-EP, auf der die Party und das eitle Geschwätz erfreulich fern sind, berichtet er uns von der Realität, von der die meisten nach wie vor nichts wissen wollen: Er erzählt vom Scheitern, von der Trostlosigkeit der deutschen Provinz, von der Art Niemandsland, die auch Antonia Baum zu Jahresbeginn in ihrem wunderbaren »FAS«-Text »Dieses Stück Germany« schilderte: »Supermarktfilialen von Supermarktketten, ein Möbelhaus, Tankstellen, nichts, Neubau, wieder Tankstelle, Autohaus, altes Haus, Wüste, die totale Geisteswüste.« Ja, so sieht Deutschland aus. Und von den Jungen, die dort leben müssen, die erlebnishungrig sind, aber nicht viel zu erwarten haben in ihrem künftigen Leben zwischen Call-Center, Abschleppdisco und Neubaughetto, von denen berichtet uns Grim 104. In Tracks, in denen das lyrische Ich häufig pendelt zwischen einem heftigen, diffusen Impuls zur Revolte und totaler Resignation. Hier wird nichts beschönigt. So viel Wahres und Ungeschöntes kommt hier zur Sprache wie lange nicht mehr im deutschsprachigen Pop.

Moment mal! Hat man nicht gelernt, dass eine Sache als so gut wie tot gelten kann, sobald die Dudelradiostationen und die Boulevard-Illustrierten sie entdecken und darüber berichten (Radio Fritz: »Grim104 spricht in großen, dunklen Bildern Klartext«, »Spiegel«: »Er ist sensibel und doch zugleich angezogen von der Härte und der Dunkelheit«, »Focus«: »Der Nihilist mit dem irrsten Blick von Rap-Deutschland«). Im Fall des Rappers Grim 104 liegen die Dinge ausnahmsweise anders. Der Mann ist nicht auf den Kopf gefallen und besitzt Geschichtsbewusstsein: »Ian Curtis (*1) hat sich nicht in seiner Küche aufgehängt / damit ihr bei Casper biten (*2) könnt.«

Grim 104 heißt bürgerlich Moritz Wilken und ist in der friesischen Provinz aufgewachsen. Zusammen mit seinem Kompagnon Testo, der aus Stralsund stammt, bildet er das Rap-Duo Zugezogen Maskulin. Heute lebt Wilken in Berlin und macht eine Ausbildung »im kaufmännischen Bereich. Jeden Tag acht Stunden.« In Interviews - etwa mit dem Musikportal laut.de - sagt er Sätze wie: »Eigentlich bin ich ein sehr höflicher und fröhlicher Mensch. Trotzdem läuft in mir ein destruktiver Film ab, den ich nicht abstellen kann.«

Wilken mag weder »neoliberale Scheißmusik« noch Bierzeltpop: »Ich weiß zumindest, wie HipHop-Shows meiner Meinung nach nicht aussehen sollten: wie so’n Reichsparteitag, wo die Arme in die Luft gerissen werden.« Seinem Solodebüt, das von finsteren, wie geisterhafte Nebelschwaden anmutenden Synthieflächen durchzogen ist, hört man auch an, dass hierzu nicht marschiert werden soll. Flow ist nicht seine Sache. Die Beats schleppen sich müde von weit her und auch wieder zurück in die Ödnis, aus der sie kamen.

Dazu passen die Erörterungen über eine gelangweilte Dorfjugend, dazu verurteilt, in einer beklemmenden Kleinbürgerwelt zu vegetieren. In Brandenburg zum Beispiel: »Mörtelfassade / Hühner in Käfigen / Die wenigen, die dageblieben sind / tragen Kinder in Klamotten / die längst ausgewaschen sind / halten große schwarze Hunde / die auf dem ausgetrockneten Rasen / vor den zusammengerückten Häusern / sitzen und warten / Auf was? / Auf dass der Netto wieder aufmacht (…) In den Hütten brennt Licht / Brandenburg Crystal Meth.« Doch Brandenburg ist überall, ist Chiffre für die Tristesse der deutschen Provinz und das freudlose Jogginghosenleben ihrer Insassen. »Dieses Brandenburg, das ich beschreibe, ist halt einfach nur ein Synonym für all die Provinzen und die Dörfer und die beschissenen Kleinstädte«, sagte Grim 104 dem Bayrischen Rundfunk.

In »2.Mai« heißt es: »Egal wie viele Flaschen wir auch schmeißen / Es ändert nichts / Egal wie hart wir pogen / Die Welt behält ihr Gleichgewicht.« Der Glaube, man könne per ritualisierter Rebellionssimulation mit angeschlossener Cocktailparty den Kapitalismus aus den Angeln heben, ist naiv. Wenn es nicht am Ende sowieso nur unpolitischen Pubertierenden um das Aufgehen im identitären Kollektiv, um Imitation, um Posen und Triebabfuhr geht: »Meine Eltern komm’n aus Westdeutschland, Terror, Schleyer, Landshut / Ich krieg’ nur die Reste ab, Lena Meyer-Landrut.«

Was hilft gegen die ganze schlechte Laune? Konsum? »All’ die dummen, kleinen Träume / Auto, Urlaub, Ausland / Alles vergeht / im kommenden Aufstand.« Drogen? »Keine Droge dieser Welt kann uns daran hindern / so zu werden wie die Eltern / Allerhöchstens kann sie’s lindern.« Und was ist das Leben? Auch darauf gibt Grim 104 eine ebenso knappe wie aufschlussreiche Antwort: »Reinfeiern, Männerabend, Mädelsabend / Bis zum ersten Kind / Kegelabend, Lebensabend.«

Grim 104: Grim 104 (Buback-Tonträger); (*1) Ian Curtis (1956 - 1980) war Sänger der einflussreichen britischen Band Joy Division. Er verübte Selbstmord; (*2) »biten«: steht für nachahmen, klauen. »Biting« ist im HipHop sehr verpönt. Die Kultur basiert zwar auf dem Sampling, dieses soll aber idealerweise dazu führen, dass aus etwas Altem etwas Neues, Originäres wird.

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