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Die Performance der Schweine

George Orwells politische Fabel »Farm der Tiere« wurde am Theater an der Parkaue inszeniert

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Schweine sind auch nur Menschen. Am Ende jedenfalls und dann, wenn es wieder einmal um die Macht geht. George Orwell hatte 1937 die Idee zu »Farm der Tiere«, 1945 erschien das Buch. Ein Maskenspiel zur totalitären Macht und ihren Folgen, Orwells großem Thema auch in »1984«. Der Hintergrund für Orwells Spiel mit den Tieren war für ihn, spätestens seit seiner Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, das Terrorregime Stalins in der Sowjetunion. Orwell war früh Sozialist, begeistert von der Oktoberrevolution, und gehörte der »Arbeiterpartei der Marxistischen Einheit« an, die in Spanien von den moskautreuen Kommunisten als »trotzkistisch« verfolgt wurde. Wie absurd: Statt gemeinsam gegen den Faschisten Franco zu kämpfen, gab es Parteienkampf auf republikanischer Seite. Stalins Kommissare »säubern« auch hier die eigenen Reihen von ideologischen »Abweichlern«. Vor diesem Hintergrund muss man »Farm der Tiere« lesen, als hochpolitische Fabel.

Doch ist die Zeit Stalins wie auch Hitlers nicht lange vorbei, das Thema der Diktatur damit nicht obsolet? Um das zu kontrastieren, eignet sich die Meldung, dass sogar Merkels Regierungsberater (Geheimdienste vermutlich) die derzeitige Form von Freiheitseliminierung durch Informationsüberwachung und -steuerung (nicht nur durch die NSA) im Internet als nur noch mit Orwells »1984« vergleichbar bezeichnen. Zeit also, Orwells Totalitarismus-Thema unter dem Vorzeichen pluralistisch verfasster Gesellschaften neu zu lesen.

Das unternimmt nun das Theater an der Parkaue in der Kooperation (zusammen mit gleich fünf anderen Bühnen jenseits des Stadttheaters, vom Hamburger Kampnagel bis zum Mousonturm Frankfurt am Main) mit Showcase Beat Le Mot, einer vierköpfigen Performancegruppe, die erfolgreich das Kindertheater mit einer Mischung aus Show- und choreographierten Tanzelementen revolutionierte. Sie verstehen sich selbst als »Chaosmanager«, die sich der Methode des »Samplings« bedienen, was wohl heißt, dass man überall das aufsammelt, was einem ins Konzept passt. Ob dieses Konzept auch in dem hochphilosophischen Maskenspiel Orwells aufgehen würde, darauf durfte man gespannt sein. Showcase Beat Le Mot bedeutet im Französischen so viel wie »Schlag das Wort«.

Der Bühnenraum: Turnhallenatmosphäre, die eine ebenso ramschige wie unübersichtliche Farm-Analogie bedient, mit Geweihen und Heimatbildern aller Art an den Wänden. In der Mitte steht ein drehbares Gestell, das entfernt an einen Pavillon erinnert und mit popartigen Lichtspots ausgestattet ist. Dazu vier überlebensgroße Tierpuppen, die vermutlich Kuhköpfen in folkloristischem Material frei nachempfunden sind. Sodann Auftritt der Schweine. Das sind die vier Gruppenmitglieder Nikola Duric, Thorsten Eibeler, Dariusz Kostyra und Veit Sprenger, die nach eigener Auskunft nicht nur als Gruppe für Schauspiel, Bühne und Regie, sondern auch für Kostüme, Musik und Arbeiten aller Art - bis hin zum Mixen der Drinks - in Haftung zu nehmen sind. Die Schweine tragen sämtlich kurze bayerische Lederhosen mit Hosenträgern und zeichnen sich durch freie Oberkörper aus. Sie singen hörbar lieber, als sie sprechen, und bewegen sich dabei nach der Tanzchoreographie von Minako Seki.

Die Handlung, in drei Sätzen zusammengefasst: Die Tiere auf der Farm des Bauern, der immer betrunken ist, hungern und wagen eines Tages den Aufstand. Die Schweine stellen sich selbst an die Spitze der Revolution, aber anstatt Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aller Tiere zu leben, sichern sie sich Privilegien und beginnen, ein Terrorregime über die anderen Tiere zu errichten. Darum geht es: »Alle Tiere sind gleich, aber einige sind gleicher«, so lautet einer der berühmt gewordenen Sätze bei Orwell, der die Schweine sämtlich »chiffriert« hat: der erste revolutionäre Anstoßgeber, Old Major, ein alter, sehr erfahrener Eber, steht für Marx und Lenin, Schneeball für Trotzki und Napoleon, der wildeste der Eber, für Stalin. »Menschen« ist ein Synonym für alle außerhalb der eigenen Farm, für die Fronde, von der man sich bedroht sieht. Wir sind damit beim Grundproblem des Sozialismus und der klassenlosen Gesellschaft. Warum verselbstständigt sich die Macht und zerstört unaufhaltsam jene Ideale, mit denen sie einst antrat? Keine befriedigenden Antworten darauf geben die Revolutionen von 1789 bis 1917. Auch die arabische Revolution brachte der Mehrheit der Bevölkerung weder ein Mehr an Freiheit noch an Gerechtigkeit. Wir sind beim Thema Lobbyismus und Macht, diesmal ganz aktuell den Kapitalismus und die Demokratie betreffend, die sich als immer schwächer erweist, den Märkten Grenzen zu setzen. Ein zweifellos brisantes Thema fürs Jugendtheater (»Farm der Tiere« ist für Jugendliche ab vierzehn empfohlen), wenn man eine Parabel mit Lust an den Widersprüchen in ihr zu erzählen vermag.

Was hier schnell irritiert, ist die Absichtserklärung der Show-Gruppe, ihre Fertigkeiten für »englische Texte auszuloten«. Ja, man spricht zumeist englisch, das klingt pädagogisch wertvoll. Aber das allein kann dem Abend nicht jene dramatische Energie geben, die er bräuchte. Die Sau rauslassen, gewiss, aber bitte mit dem nötigen Sinn für Zwischentöne, sonst wird aus der gewollten Kritik an den Schweinen pure Affirmation!

Showcase Beat Le Mot führt mit »Animal Farm« auf unrühmliche Weise den Nachweis, dass freie Produktionen nicht immer lustvoller, spiel- und einfallsfreudiger zu Werke gehen als das viel gescholtene Stadttheater. Zumeist routiniert, jedoch uninspiriert handelt man so die einzelnen Romankapitel ab, dazu dröhnt im Off der Beat, eine im Zusammenspiel nicht vorhandene Vitalität vortäuschend. Vielfalt der Ebenen, aufschließende Interpretationen? Fehlanzeige, auch das weite Feld von Natur und Zivilisation - verschenkt. Es bleibt bei der bemühten Performance in die Jahre gekommener Schweine, die sich drehen und wenden, als seien sie von bösen Dämonen besessen. Viel mehr ist nicht. So verstimmt die Beliebigkeit der Bebilderung zunehmend.

30.1., Theater an der Parkaue, Parkaue 29, 10367 Berlin; Tel.: (030) 55 77 52-51/-52 /-53; www.parkaue.de

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