Haben Menschen nicht das Recht auf Träume?

Das Grandhotel Cosmopolis in Augsburg beherbergt Künstler, Hotelgäste und Asylsuchende unter einem Dach

  • Lesedauer: 8 Min.
Seit dem Herbst 2013 hat in Augsburg das Grandhotel »Cosmopolis« geöffnet. Es beherbergt Touristen ebenso wie Künstler und Asylbewerber. Diese integrative Idee, mit der engagierte Bürger »gesetzliche Defizite in der Flüchtlingspolitik durch kreative und gemeinschaftliche Aktionen ausgleichen« wollen, wurde mit dem Miteinander-Preis des Bayerischen Rundfunks und dem Preis »Deutschland - Land der Ideen« ausgezeichnet. Mit den Initiatoren Sebastian Kochs (links) und Pfarrer Fritz Graßmann sprach Elke Eckert.

nd: Herr Kochs, warum heißt Ihr Projekt, das Asylbewerberheim, Hotel und Kulturraum vereint, Grandhotel Cosmopolis?

Sebastian Kochs: Wir haben in der Anfangsphase in einer lauen Sommernacht rumgesponnen und überlegt, wie das Haus werden soll. Wie man die Internationalität, die Flüchtlinge mitbringen, so in einen Kontext setzen kann, dass sie von einer Belastung zu etwas Spannendem wird. So kam es zu der Idee eines Grandhotels des ausgehenden 19., beginnenden 20. Jahrhunderts, in dem internationale Gäste sind, aber in das auch Leute aus dem Umfeld, aus der Stadt reingehen, wo eine Begegnung auf einer ganz niederschwelligen Ebene stattfinden kann. Daraus ließ sich auch ableiten, dass es in diesem Hotel Gäste mit und ohne Asyl gibt.

Herr Graßmann, ursprünglich kam die Regierung von Schwaben auf Sie zu, weil sie Unterkünfte für Asylbewerber suchte.

Fritz Graßmann: Ja, es war ja schon länger bekannt, dass es ein leerstehendes Gebäude bei der Diakonie gibt. Und die Regierung brauchte dringend Flüchtlingsunterkünfte, weil nach einem massiven Rückgang die Flüchtlingszahlen ab 2010 plötzlich wieder gestiegen sind.

Sie und Ihre Mitstreiter hatten etwa zur gleichen Zeit die Idee, in dem Gebäude ein Kulturhotel einzurichten.

Kochs: Wir wussten, da gibt’s ein leerstehendes Haus, und wir müssen uns dafür was einfallen lassen. Als wir erfuhren, dass ein Teil des Hauses für Flüchtlinge vergeben wird, haben wir überlegt, wie wir damit umgehen. So entstand die Grandhotel-Idee.

Wie haben die Anwohner auf den Plan reagiert, hier Flüchtlinge unterzubringen?

Graßmann: Am Anfang sehr skeptisch. Manche dachten, die Künstlergruppe sei nur ein Alibi, das die Regierung und die Diakonie benutzen, um das hier durchzuziehen. Aber im Großen und Ganzen muss man sagen, dass es nach ersten Protesten in der Nachbarschaft im November 2011 deutlich ruhiger geworden ist.

Wie äußerte sich der Protest?

Kochs: Es gab zwei Treffen, bei denen rund hundert Leute anwesend waren, wo das richtig hochkochte. Die Regierung von Schwaben hatte ursprünglich nur eine Anwohnerin informiert, weil nur ihr Haus direkt an das Grundstück der Diakonie grenzt. Daraus entstanden viele Gerüchte.

Wie haben Sie die Situation in den Griff bekommen?

Graßmann: Ich musste mich mit der zuständigen Sachgebietsleiterin von der Regierung den Anwohnern stellen. Damals prallten die Meinungen sehr hart aufeinander. Wenig später gab es eine weitere Veranstaltung, wo die Luft ganz schön geknistert hat, mit ein paar heftigen Äußerungen. Manche sind wutentbrannt gegangen. Aber die meisten sind geblieben, und dann ist die Stimmung ins Positive gekippt, es haben sich kleine Gespräche entwickelt, Schritt für Schritt. Letztlich war das vielleicht die Wende, diese Veranstaltung.

Was steckte hinter der Wut der Nachbarn?

Graßmann: Fremdenfeindlichkeit war das nie. Grundsätzlich wohnen hier im Domviertel ja auch Leute, die eine bunte Stadt wollen und von denen die wenigsten Berührungsängste mit anderen Kulturen haben. Aber da und dort gab es Angst vor dem, was kommt. Was bedeutet das für die Immobilienpreise? Ist es hier nicht zu eng für so viele Flüchtlinge? Und die dritte Befürchtung war in meinen Augen die wichtigste und die am meisten berechtigte: Hier fehlt sowieso schon Raum für Kinder, es gibt keine Spielplätze. Wo sollen sich denn die Flüchtlingsfamilien aufhalten?

Womit konnten Sie die Anwohner beruhigen?

Kochs: Wir haben gesagt: Seht uns nicht als Feinde, wir sind genauso wie ihr der Meinung, dass es nicht richtig ist, wenn alles weitgehend heimlich vorbereitet wird und es erst, wenn alles fast fertig ist, heißt, da kommen übrigens Flüchtlinge. Dass man da sauer ist, ist verständlich. Wir haben uns aber auch gegen den Vorwurf gewehrt, nur das Deckmäntelchen zu sein, das von der Regierung missbraucht wird. Wir sind genauso Bürger, aber wir haben eben beschlossen, unsere Bürgerpflicht in die Hand zu nehmen und aktiv zu werden.

Das hat die Anwohner überzeugt?

Kochs: Ja, ich glaube schon. Wir haben sie aufgefordert, uns ihre Anregungen dazulassen, damit wir sie in unsere Planungen einbeziehen können. Außerdem haben wir immer wieder das Haus geöffnet, Führungen gemacht und den Leuten erklärt, wie alles mal werden soll.

Wie viele Flüchtlinge können Sie aufnehmen?

Graßmann: Genau 58. Mitte Juli 2013 sind die ersten eingezogen und innerhalb von vier Wochen waren unsere Zimmer voll belegt. Und das ist seitdem so geblieben. Im Moment sind es ausschließlich Familien, 30 der 58 Hotelgäste mit Asyl sind Kinder. Die meisten von ihnen sind in Zweibettzimmern untergebracht, wobei wir Ausnahmen machen, wenn Eltern ihre kleinen Kinder bei sich haben möchten.

Kochs: Allerdings sind die Abschiebungsfristen sehr kurz geworden. Die erste Abschiebung für eine Familie, die im Juli eingezogen ist, wurde schon einen Tag später angeordnet. Die Stimmung hat dadurch einen deutlichen Dämpfer bekommen. Innerhalb der ersten Monate gab es ziemlich viele Bescheide. Inzwischen sind sieben Familien davon betroffen. Es gelingt uns deshalb nur teilweise, die Betroffenen aus ihrer Lethargie und Angst rauszuholen. Wir versuchen, sie aufzubauen und zu schauen, was man tun kann, wenn Leute zum Beispiel nach Polen abgeschoben werden sollen.

Was tun Sie da konkret?

Kochs: Wir haben etwa eine Petition im Bayerischen Landtag gestellt, dass keine Rückführungen mehr nach Polen stattfinden dürfen. Damit haben wir uns explizit gegen das Verfahren innerhalb der EU, die Dublin-Verordnung, ausgesprochen, die besagt, dass man als Flüchtling nur einen Asylantrag in dem Land stellen darf, in dem man europäischen Boden betreten hat, dem sogenannten Erstland.

Ist aus dem Engagement für das Hotel somit auch ein politisches geworden?

Kochs: Wir versuchen, nicht nur etwas für die Leute zu tun, die bei uns sind. Dadurch, dass das Grandhotel mehr Aufmerksamkeit bekommt als jede andere Flüchtlingsunterkunft, erwächst Verantwortung. Das heißt, wenn man das Ohr der Politiker oder der Presse hat, muss man versuchen, grundsätzlich etwas zu verändern.

Die Dublin-Verordnung bedeutet, dass den südlichen, ärmeren EU-Staaten eine größere Verpflichtung und Belastung bei der Aufnahme von Flüchtlingen auferlegt wird als den reicheren nördlichen Staaten.

Kochs: Ja, und das halte ich persönlich für ein Verbrechen, vor allen Dingen, weil die Europäische Union aus ganz anderen Gedanken heraus gegründet wurde. Da ging es um Werte wie Friedfertigkeit unter den Völkern, dafür hat die EU sogar den Friedensnobelpreis bekommen. Ein Friedensnobelpreisträger hat meiner Meinung nach die Verpflichtung, sich moralisch anders zu verhalten.

Manche Politiker sagen: Flüchtlinge aus Krisengebieten ja, Wirtschaftsflüchtlinge nein.

Graßmann: Aber haben Menschen nicht auch das Recht zu sagen, ich fliehe vor allergrößter wirtschaftlicher Not? Und haben Menschen nicht auch das Recht, Träume zu haben? Wenn man das einfach mal so sieht, dann könnte man, glaube ich, zu einer viel vernünftigeren Politik kommen.

Mit dem Hotel tragen Sie nun zur Integration der Ankömmlinge bei.

Kochs: Für uns war bei der Konzeption sehr wichtig, dass eine gelungene Willkommenskultur bei den Leuten anfängt, die hier leben. Hier soll ein Ort entstehen, der eine Heimat auf Zeit ist für alle Menschen, egal, woher sie kommen. Deswegen ist auch der Bereich, der dezidiert keine Flüchtlingsarbeit ist, für dieses Haus und den Erfolg dieses Hauses maßgeblich entscheidend.

Wie gestaltet sich das Miteinander von Hotelgästen und Flüchtlingen?

Kochs: Das ist ganz unkompliziert. Erstens wissen ja alle Gäste, in was für ein Hotel sie sich einquartiert haben. Und zweitens ist es spannend zu sehen, dass die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gästen nicht besonders groß sind. Nur, dass die Hotelgäste mit Asyl halt relativ viele Kinder haben und diese natürlich ein bisschen mehr Alarm machen als Erwachsene. Aber deswegen hat sich bisher noch niemand beschwert.

Bekommen Sie Reaktionen von den Hotelgästen ohne Asyl?

Kochs: Ja, die sind generell begeistert. Wir haben ja ein Gästebuch, in das sich alle eintragen können. Und wir haben schon Post bekommen, wo sich jemand im Nachhinein bedankt hat, weil er es hier so toll fand. Es kam auch schon öfter das Feedback, dass sich ein Urlaub im Grandhotel anfühlt, als wäre man nicht in Augsburg, sondern viel weiter weg.

Wie ist der Hotelteil ohne Asyl ausgelastet?

Kochs: Momentan liegen wir genau im Schnitt, den Augsburg allgemein hat, zwischen 40 und 50 Prozent. Und die Nachfrage hält an. Wochenweise ist das Hotel komplett ausgebucht.

Würden Sie Ihr Modell anderen engagierten Bürgern empfehlen?

Kochs: Das machen wir bereits. Wir sind nach Hamburg eingeladen worden, um unser Konzept vorzustellen. Es gab auch schon Gespräche in Berlin, mit einem Initiatorenkreis, der gesagt hat, wir müssen die Situation um das Asylbewerberheim in Hellersdorf in den Griff kriegen. Und es gibt Kontakte nach Wien wegen eines Gebäudes, in dem vielleicht etwas Ähnliches entstehen soll.

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