Pragmatiker wider Willen

Die französischen Grünen drohen in der Linksregierung ihre Daseinsberechtigung zu verlieren

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
In ihrer 30-jährigen Geschichte haben die französischen Grünen mehrere Modernisierungen hinter sich. Ihren Prinzipien sind sie aber treu geblieben.

Wer Frankreichs führende Grüne auf den 30. Jahrestag der Gründung ihrer Partei am 29. Januar 1984 anspricht, wird gereizt zurechtgewiesen. Die Partei der Grünen gebe es längst nicht mehr, wird man belehrt. Tatsächlich fusionierte sie 2010 auf Initiative von Daniel Cohn-Bendit mit der zur Europawahl 2009 gebildeten Sammlungsbewegung Europe Écologie zur Partei EELV (Europe Écologie-Les Verts), die bei ihrer Gründung 13 000 Mitglieder hatte.

Trotzdem dominieren auch in der nun politisch breiter gefächerten Partei die »historischen« Grünen mit ihrer »Kultur« von Ablehnung jeglicher Autorität, von charmantem Chaos, Improvisation und Planlosigkeit, von Grüppchenbildung, Bruderzwist und kurzzeitiger Versöhnung. Und all das wird seit 30 Jahren als »Wachstumsprobleme« verharmlost.

Die wurden allerdings lästig, als die Partei nach der Präsidentschafts- und Parlamentswahl 2012 in der Nationalversammlung mit 17 Abgeordneten vertreten war, Mitglied der neuen linken Koalition wurde und in der Linksregierung zwei Ministerposten zu besetzen hatte. Doch die Sozialisten, die in der Nationalversammlung auch allein über die absolute Mehrheit verfügen, machten den Grünen schnell klar, dass sie nur Juniorpartner sind. Während sie in der Regierung von Lionel Jospin zwischen 1997 und 2002 mit Dominique Voynet das Umweltministerium besetzten und den Verzicht auf den Brutreaktor Superphénix sowie auf einen landschaftszerstörenden Kanal zwischen Rhein und Rhône durchsetzen konnten, wurde ihnen das Umweltministerium diesmal verweigert. Cécile Duflot musste sich mit dem Wohnungsbauministerium bescheiden, ein weiterer Grüner wurde im Außenministerium beigeordneter Minister für Entwicklungshilfe. Den Umweltminister stellen die Sozialisten selbst.

Die Grünen müssen laufend »Kröten schlucken«, heißt es in Frankreich, wenn die Sozialisten Entscheidungen diktieren, die den Ideen der Grünen zuwiderlaufen, die sie aber aus Regierungssolidarität öffentlich mittragen müssen. Das betrifft Reformen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, vor allem jedoch den Energiesektor. Hier lässt die von François Hollande im Präsidentschaftswahlkampf versprochene »Energiewende« mit der Reduzierung des Anteils der Kernkraft von heute 80 auf 50 Prozent im Jahre 2025 auf sich warten und die erste Stilllegung eines Kernkraftwerks wird laufend verschoben.

Darum wird bei den Grünen immer wieder die Frage aufgeworfen, ob sie nicht besser die Regierung verlassen sollen, um ihre Selbstständigkeit zurückzugewinnen. Bisher haben sich die »Pragmatiker« - allen voran die beiden grünen Minister - mit ihren Plädoyers fürs Weitermachen durchgesetzt. Doch bei den bevorstehenden Kommunalwahlen werden die Grünen genüsslich ihr »Störpotenzial« demonstrieren, indem sie vielerorts aus dem Bündnis mit den Sozialisten ausscheren, mit eigenen Listen antreten oder gar Wahlbündnisse mit der Linksfront eingehen und damit die jeweiligen sozialistischen Kandidaten in Bedrängnis bringen dürften.

Hier zeigt sich wieder einmal, dass die französischen Grünen stets etwas weiter links gestanden haben als ihre Namensvettern in Deutschland. So hat Daniel Cohn-Bendit, der in Frankreich geborene und aufgewachsene Deutsche, in den zurückliegenden 30 Jahren eine große Rolle bei den französischen Grünen gespielt. Er ist eine Symbolfigur der Studentenunruhen im Mai 1968 in Paris und genießt großes Ansehen. Doch mit seiner Verteidigung der neoliberalen Marktwirtschaft und Globalisierung blitzt er innerparteilich immer wieder ab.

Weil er stärker in die Kritik geriet, arbeitet Cohn-Bendit seit Dezember 2012 nicht mehr bei der EELV in Frankreich mit und konzentriert sich auf seine Aktivitäten in Deutschland. Doch die Hoffnung, wieder stärkeren Einfluss in der EELV zu gewinnen, etwa im bevorstehenden Wahlkampf für die Europawahl und in der gemeinsamen Fraktion »Grüne - Europäische Freie Allianz« im Europaparlament, hat er offenbar nicht aufgegeben. Jedenfalls zahlt er weiter seine Mitgliedsbeiträge.

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