nd-aktuell.de / 01.02.2014 / Politik / Seite 7

Einspruch aus dem widerspenstigen Gagausien

Ethnische Minderheiten wollen über die künftige außenpolitische Orientierung der Republik Moldau mitbestimmen

Detlef D. Pries
Die Republik Moldau paraphierte im November 2013 ein Assoziierungsabkommen mit der EU, das noch in diesem Jahr unterzeichnet werden soll. Doch regt sich Widerstand - unter anderem in Gagausien.

Comrat hatte jüngst hohen Besuch: Zuerst kam aus Chisinau der Regierungschef der Republik Moldau, Iurie Leanca; wenige Tage später bemühte sich sogar EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle aus Brüssel in die Kleinstadt, die ganze 23 000 Einwohner zählt.

Comrat ist das Verwaltungszentrum der »Autonomen territorialen Einheit Gagausien«. Mehr als 80 Prozent von etwa 160 000 Bewohnern des Autonomiegebiets sind ethnische Gagausen (sprich Gaga-usen), deren Sprache dem Türkischen verwandt ist. Grund für die außerordentliche Aufmerksamkeit, der sich die Region von der Größe eines brandenburgischen Landkreises derzeit erfreut, ist der einstimmige Beschluss der Volksversammlung Gagausiens, der Bevölkerung am morgigen Sonntag in einem Referendum zwei Fragen vorzulegen: Sollte sich die Republik Moldau der Europäischen Union oder besser der Zollunion mit Russland anschließen? Und: Sollte sich Gagausien für selbstständig erklären, falls die Republik Moldau ihre Souveränität verliert? Die Antwort auf die erste Frage hat nur beratenden Charakter, die Gagausen können schließlich nicht über das Schicksal der ganzen Republik bestimmen, die Entscheidung zur zweiten Frage aber soll für das Autonomiegebiet Gesetzeskraft erlangen.

In Chisinau wie in Brüssel sorgt man sich jedenfalls, dass sich die Mehrheit in Gagausien »falsch« - gegen die EU - entscheidet. Fast jede Familie hat Angehörige, die ihr Geld in Russland verdienen. Eine moldauische Mitgliedschaft in der Zollunion könnte diese Art des Broterwerbs erleichtern und verspräche überdies niedrigere Gaspreise. Verschreibt sich die Republik dagegen der EU, könnte Russland seine moldauischen »Gastarbeiter«, die Gagausen eingeschlossen, schlicht vor die Tür setzen wollen.

Zwar ist mit dem Assoziierungsabkommen kein Aufnahmeversprechen der EU verbunden. Vielmehr werden selbst beitrittswillige Regierungen auf die lange Bank verwiesen. In der Republik Moldau aber gibt es einflussreiche politische Kräfte, die einen kürzeren Weg in die EU einschlagen wollen: die Vereinigung mit Rumänien. Lautstärkster Fürsprecher der moldauischen »Unionisten« ist derzeit Traian Băsescu. Der Präsident Rumäniens hat die Vereinigung zum »nationalen Projekt« erklärt. Zum Jahreswechsel forderte Băsescu, man solle endlich offen propagieren, dass die Moldau »rumänischer Boden« sei. Und Mihai Ghimpu, Wortführer der moldauischen Liberalen, pflichtete ihm bei: Die Unabhängigkeitserklärung 1991 sei nur als Zwischenschritt zur späteren »Wiedervereinigung« gedacht gewesen.

Die drohende »Rumänisierung« der damaligen Moldauischen Sowjetrepublik hatte den Eigensinn der Gagausen jedoch bereits 1990 entfacht: Im August jenes Jahres riefen sie die Sozialistische Republik Gagausien aus. Aber erst die Gefahr eines Gewaltausbruchs wie in der mehrheitlich ukrainisch-russisch besiedelten abtrünnigen Moldauischen Dnjestr-Republik bewog die Regierung in Chisinau Ende 1994, Gagausien den Status der »Autonomen territorialen Einheit« zuzugestehen. Gagausisch wurde als Amtssprache neben dem Moldauischen anerkannt, auch Russisch als Sprache der Verständigung zwischen den Nationalitäten blieb offiziell.

Aber eine Volksbefragung zum außenpolitischen Kurs des Landes? Das geht der prowestlichen moldauischen Regierung zu weit. Zu deren Verdruss regt sich auch im Rayon Taraclia in der Nachbarschaft Gagausiens Widerstand gegen die EU-Anbindung. Die rund 40 000 Bewohner des Rayons, von denen gut 70 Prozent Bulgaren sind, wollen ebenfalls am 2. Februar in öffentlichen Versammlungen darüber abstimmen, welchem der beiden Integrationsprojekte sie zuneigen. Die Dnjestr-Republik verweigert sich einer EU-Freihandelszone ohnehin.

In Chisinau wollte man die Willensbekundung der Gagausen zunächst mit juristischen Mitteln verhindern: Ein Gericht verbot das Referendum, den Volksvertretern wurden Strafverfahren angedroht. Die Parlamentarier aber ließen sich nicht einschüchtern und pochten auf ihre Immunität. Weshalb sich Premier Iurie Leanca mit Stefan Füles Unterstützung aufs Überreden verlegte. Der EU-Kommissar pries in Comrat die Vorzüge der EU-Assoziierung und versicherte, dass Brüssel noch an die 5 Millionen Euro denke, die man dem Autonomiegebiet vor Jahresfrist versprochen hatte. Er wollte sogar noch eine Million drauflegen.

Fragt sich, ob Füle die Gagausen überzeugt hat. Der Politologe Alexandru Angheli bezweifelt es. »Die geopolitische Orientierung hat tiefere historische und kulturelle Wurzeln, die man nicht so leicht ausreißen kann«, äußerte er gegenüber »Kommersant.md«. Eine Erkenntnis, die in der EU allerdings schon im Falle der Ukraine sträflich ignoriert wurde.