Gebundensein und Alleinsein, Sicherheit und Freiheit

Barbara Frischmuth sucht in ihrem Erzählungsband »Bindungen« nach Spielregeln des Zusammenlebens

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 2 Min.

Menschliches Zusammenleben und wie man Spielregeln dafür findet - das »spielt« Barbara Frischmuth in den Erzählungen dieses Bandes in unterschiedlichen Konstellationen und mit sprachlicher Raffinesse gekonnt durch. Versucht man, dem Geheimnis ihres Erzählens auf die Spur zu kommen, so findet man sich bei zahlreichen unaufgelösten - und oft nicht auflösbaren - Gegensätzen wieder: Gebundensein und Alleinsein, Sicherheit und Freiheit, Glück und Glücksverlangen, Verletzung und Heilung, Vernunft und Labyrinth der Gefühle, Realität und Absurdität, Wirklichkeit und Mystifikation. Es gibt deren viel mehr.

Bleiben wir beim letzten! Einer der bekanntesten Romane der Schriftstellerin hat den Titel »Die Mystifikationen der Sophie Silber« (1976). Auch hier gibt es zwei Erzählungen, die als Mystifikationen zu lesen sind - und zwar wiederum in ausgesprochen gegensätzlichen Spielarten. In »Und ich sah, und siehe, eine weiße Wolke ...« ereignet sich eine Art mystische Schau als pseudoreligiöses Naturerlebnis eines Kindes (oder ist es gar kein Kind, sondern eine erwachsene Frau?) »Otter«, die beste Kurzerzählung, ist eine Art moderne »Undine«-Variation. Ein pragmatischer junger Aufsteiger entschwindet, ausgelöst durch den Tod des Freundes, eine Nacht lang traumwandlerisch aus der Wirklichkeit. »Originelles Absurdes Theater« nennt Julian Schut-ting in der Einleitung das Streitgespräch der beiden Personen in »Meine Großmutter und ich«.

In »Bindungen« geht es um zwei Schwestern mit unterschiedlichen Lebensentwürfen. Nach einer sehr verletzenden Trennung erholt sich Fanny auf Einladung ihrer Schwester Melanie in deren Haus. Die tüchtige Melanie hat alles, was vermeintlichen Wohlstand ausmacht, einen tollen Mann, ein phantasiebegabtes Kind, ein schönes Haus mit Garten, ein Zweitauto usw. Fanny ist (wie die Autorin) Orientalistin und hat außer ihrer Wissenschaft nur leere Hände. Und dann kommt, was kommen muss. Fanny bricht, gewollt oder ungewollt, in die Ehe ein, und einiges bricht in der Ehe auf. Barbara Frischmuth erzählt dieses »Spiel« leider hier ein bisschen klischeehaft, psychologisch aber sehr geschickt, mit Boshaftigkeit gewürzt.

Barbara Frischmuth: Bindungen und andere Erzählungen. Residenz Verlag. 158 S., geb., 19,90 €.

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