Netzausbau ohne Bayern

Ministerpräsident Seehofer will Moratorium für neue Stromtrassen

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Netzbetreiber Tennet und TransnetBW haben am Mittwoch Pläne für eine neue Stromtrasse präsentiert. Dabei kritisierten sie Seehofers Forderung nach einem Moratorium für neue Netze.

Vor den Kommunalwahlen in Bayern versucht sich Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) in Bürgernähe. Doch anders als mit der sogenannten Ausländermaut im vergangenen Herbst scheint er dieses Mal nicht den Nerv der Bayern getroffen zu haben. Die wehren sich seit Verkündung der schwarz-gelben Energiewende im Jahr 2010 teils massiv gegen den weiteren Ausbau von Stromnetzen. Also hat Seehofer nun ein Moratorium für weitere Stromtrassen in seinem Land gefordert. Nicht nur Bundeswirtschafts- und energieminister Sigmar Gabriel (SPD) schüttelt darüber den Kopf. Auch die Netzbetreiber Tennet und TransnetBW halten offensichtlich nicht viel von Seehofers Ankündigung und haben heute konkretere Pläne für ihre gemeinsame Stromtrasse Suedlink vorgestellt. Mit 800 Kilometern Länge ist sie die größte der drei in Deutschland geplanten neuen Strecken.

Die neue Trasse soll den Plänen zufolge etwa vom Atomkraftwerk Brokdorf in Schleswig-Holstein bis zum Atomkraftwerk Grafenrheinfeld in Bayern führen und sich größtenteils an der Autobahn A 7 entlangschlängeln. Sie soll vor der Küste Deutschlands produzierte Windenergie in den Süden des Landes bringen. Notwendig mache dies der Ausstieg aus der Atomkraft, so Rainer Joswig, Geschäftsführer der TransnetBW: »Die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen werden im Jahr 2023 rund 30 Prozent ihres Jahresverbrauchs an Strom importieren müssen.« In Reaktion auf Seehofers Forderung nach einem Moratorium sagten die Betreiber in einer gemeinsamen Erklärung, die Politik müsse sich sicher sein, dass die großen Stromverbindungen weiter ihren Beitrag zur Energiewende leisten sollen.

Der Ausbau des Stromnetzes ist Teil der Pläne zur Energiewende aus dem Jahr 2010. Die sahen vor, bis zum Jahr 2020 mindestens 30 Prozent des verbrauchten Stroms aus Sonne, Biomasse, Wind und Wasser zu erzeugen. Dafür braucht es neue Netze, die den Strom zu den Verbrauchern bringen. Und da im Rahmen der Energiewende auch ein massiver Ausbau der Offshore-Windkraft geplant wurde, sollten die Netze vor allem die norddeutschen Küsten mit dem Süden des Landes verbinden.

Der Netzentwicklungsplan sieht bis zum Jahr 2022 den Bau von Leitungen von insgesamt 2800 Kilometern Länge vor. Zudem sollen im bestehenden Netz 2900 Kilometer für die schwankende Ökostromeinspeisung optimiert werden, etwa durch leistungsstärkere Kabel. Zurzeit sind drei große Stromtrassen geplant, die längste davon ist die am Mittwoch vorgestellte Suedlink-Trasse. Von Wilstern verläuft sie laut Plan südlich nach Niedersachsen, passiert Verden an der Aller und geht dann zwischen Hannover und Lehrte an Hildesheim vorbei Richtung Süden. Schließlich führt sie westlich an Kassel und Bad Hersfeld vorbei nach Süden und dann über Fulda nach Grafenrheinfeld.

In Bayern wehren sich mehrere Bürgerinitiativen gegen den Ausbau des Stromnetzes. Die »Bürger gegen Strommonstertrasse« im oberfränkischen Betzenstein beispielsweise sehen in der 450 Kilometer langen sogenannten Gleichstrompassage Süd-Ost des Netzbetreibers Amprion wegen der bis zu 70 Meter hohen Gittermasten eine Verschandelung der Region. Sie fürchten außerdem Gesundheitsschäden durch die elektromagnetischen Felder. Die »Strommonstertrasse« ist, wie auch Suedlink, seit langem geplant und Teil eines im Juli 2013 verabschiedeten Bundesgesetzes für 36 neue Stromtrassen, dem auch die CSU zugestimmt hat. Dass diese nun ein Moratorium für neue große Stromtrassen in Bayern und eine Revision der bisherigen Leitungspläne beim Bund fordert, beeindruckt die Trassengegner nicht. Am Mittwoch erntete Bayerns Energieministerin Ilse Aigner (CSU) ein minutenlanges Pfeifkonzert, als sie bei einer Kundgebung auf dem Berchinger Rossmarkt das geplante Moratorium verteidigte. Anstatt den Strom aus Norddeutschland zu importieren, solle in Bayern selbst der Ausbau erneuerbarer Energien vorangetrieben werden, so die Kritiker. Sollte die Stromtrasse dennoch unverzichtbar sein, müsse diese zumindest unterirdisch verlegt werden.

Seehofer (CSU) wies am Mittwoch in München Befürchtungen zurück, der Kurswechsel könnte die Sicherheit der Stromversorgung gefährden. Zunächst werde das Erneuerbare-Energien-Gesetz überarbeitet. Dann werde man schauen, welche Stromtrassen gebraucht würden.

In Berlin kritisierte Gabriels Sprecher den Versuch Seehofers, die Planung der heftig umstrittenen Gleichstromtrasse von Oberfranken nach Schwaben zu bremsen: Es wäre »vermutlich nicht sehr hilfreich«, den Ausbau der Netzinfrastruktur infrage zu stellen. Gabriel stand in den vergangenen Tagen selbst in der Kritik, die Energiewende auszubremsen. Er hatte ein Eckpunktepapier vorgelegt, das eine Drosselung des Ausbaus erneuerbarer Energien vorsieht.

Der Fraktions-Vize der Grünen, Oliver Krischer, sprach in dem Zusammenhang von einer Retourkutsche. »Die Gabriel-Politik des Ausbremsens der erneuerbaren Energien wird zum Bumerang, noch bevor sie wirklich angefangen hat.« Gabriel habe Seehofer eine Steilvorlage gegeben, den Netzausbau in Frage zu stellen. Dies solle ein »Weckruf für Gabriel« sein. Ansonsten stehe »die Energiewende insgesamt und damit auch der Ausstieg aus der Atomkraft« infrage.

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