»Ein Kind im Osten ist weniger wert«

Rentenpolitikerin Karen Stramm (LINKE) über Benachteiligungen bei der geplanten Mütterrente

  • Lesedauer: 4 Min.
Mütterrente und Rente ab 63 – derzeit wird heftig debattiert um die geplante Reform der Bundesregierung. Die rentenpolitische Sprecherin der Linksfraktion Mecklenburg-Vorpommern, Karen Stramm, hält das Ganze für eine »Schattendiskussion«. Die wirklichen Probleme gehe die Regierung nicht an. Stattdessen schaffe sie neue Benachteiligungen. Mit der Linkspolitikerin sprach nd-Redakteur Fabian Lambeck.

nd: Sie kritisieren die Pläne der Bundesregierung zur Mütterrente. Demnach soll Frauen, die vor 1992 ein Kind bekommen haben, ein zusätzlicher Rentenpunkt gutgeschrieben werden. Ist es nicht ein Fortschritt, dass Kindererziehung auch finanziell anerkannt wird?
Stramm: Es ist in der Tat ein Schritt in die richtige Richtung. Meine Kritik richtet sich gegen die Benachteiligung ostdeutscher Mütter.

Das Geld gibt es doch unabhängig vom Wohnort.
Ja, aber in unterschiedlicher Höhe. Bislang wurde Müttern je Kind ein Entgeltpunkt auf dem Rentenkonto gutgeschrieben, ab Juli 2014 sollen es dann zwei Punkte sein. Aber wenn man berücksichtigt, dass der Rentenwert West gegenwärtig 28,13 Euro beträgt und der Rentenwert Ost nur 25,73 Euro, dann wird schon deutlich: Ein Kind im Osten ist weniger wert. Dazu kommt noch, dass für Kinder, die nach 1992 geboren wurden, drei Rentenpunkte gezahlt werden. Also sind Kinder, die nach 1992 geboren wurden, auch mehr wert als Kinder, die vor 1992 das Licht der Welt erblickten. Wenn man dann auch noch berücksichtigt, dass im Osten viele Frauen berufstätig waren und die Kinder nicht zu Hause betreuten, kommt eine weitere Benachteiligung hinzu.

Welche Rolle spielt denn die Berufstätigkeit der Frauen?
In der DDR, und später den neuen Bundesländern, gab und gibt es ausreichend Kindergärten und Kinderkrippen. Anders als im Westen blieb die Frau nicht lange zu Hause, sondern ging möglichst schnell wieder arbeiten. Die neue Mütterrente honoriert insgesamt zwei Jahre an Kindererziehungszeit im eigenen Heim.

Und was bringt es jenen, die rasch wieder arbeiten gingen?
In diesem Fall wird die Berufstätigkeit angerechnet. Die betroffenen Frauen erhalten keinen zweiten Rentenpunkt zusätzlich. Wenn eine Frau sehr gut verdient hat, kann es sein, dass sie gar keinen oder nur einen halben Rentenpunkt kriegt. Wie auch immer, auf keinen Fall gibt es den vollen Punkt, wenn die Frau nicht ein ganzes Jahr zu Hause war.

Die Bundesregierung weiß um diese Ungleichbehandlung, meint aber, die Mütterrente sei keine »pauschale Entschädigung«, sondern ein »Nachteilsausgleich«.
Natürlich hatten es Frauen im Osten leichter, wieder arbeiten zu gehen. Diese Möglichkeit hatten viele Frauen im Westen nicht. Insofern ist es jetzt auch kontraproduktiv, da einen weiteren Ost-West-Konflikt aufzumachen. Aber gerecht finde ich das nicht.

Das wirkt für den Laien alles sehr unübersichtlich. Zumal der Gesetzgeber zwischen Bestandsrentnerinnen und berufstätigen Frauen unterscheidet.
Ja, die Bundesregierung plant, dass Frauen, die heute schon Rente beziehen, den vollen zusätzlichen Rentenpunkt bekommen. Unabhängig davon, ob sie nun mit den Kindern zu Hause waren oder nicht. Hingegen wird bei Frauen, die jetzt noch arbeiten, die damalige Arbeitszeit auf den Rentenpunkt angerechnet. Das ist doch keinem vernünftigen Menschen zu vermitteln. Und dass Frauen, deren Kinder nach 1992 geboren wurden, sogar drei Rentenpunkte gutgeschrieben bekommen, während die anderen nur zwei kriegen, ist ebenso wenig nachvollziehbar.

Der zweite umstrittene Punkt der geplanten Reform ist die Rente ab 63 für Menschen, die 45 Beitragsjahre vorweisen können. Zumindest das Vorhaben scheint doch vernünftig.
Nein, die Rente ab 63 ist genauso ungerecht. Sie gilt nur für die Jahrgänge 1951, 1952 und 1953. Bei allen jüngeren wird der Rentenzugang wieder schrittweise angehoben, bis das 65. Lebensjahr erreicht ist. Gegenwärtig ist immer noch nicht klar, ob man auch Zeiten von Arbeitslosigkeit anrechnet. Dies ist aus dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung nicht ersichtlich.

Offenbar gibt es auch sehr wenige Anspruchsberechtigte. Die Deutsche Rentenversicherung zählte 2012 kaum mehr als 12 000 Neurentner mit 45 oder mehr Beitragsjahren.
Das deckt sich mit Zahlen, die wir jetzt als Antwort auf unsere Kleine Anfrage erhalten haben. Demnach gehen Männer in Mecklenburg-Vorpommern durchschnittlich mit 41,75 Versicherungsjahren in Rente. Frauen kommen sogar nur auf 39,75 Jahre. Daran sieht man, dass nur ein kleiner Teil von Arbeitnehmern überhaupt in den Genuss der Rente ab 63 kommen wird. Man lenkt mit dieser Schattendiskussion um das Rentenreförmchen von den eigentlichen Problemen ab. Etwa der riesigen Welle von Altersarmut, die auf uns zurollt. Statt etwas dagegen zu tun, beschwört man einen Generationskonflikt und mit der Mütterrente auch einen Ost-West-Konflikt.

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