Die heile Welt der Lehrbücher

Klaus Müller über die Zins- und Geldpolitik der Zentralbanken in den Industriestaaten

  • Klaus Müller
  • Lesedauer: 4 Min.

»Professoren, die sich einig sind, gibt es nicht, außer bei einer Verschwörung.« Der Satz des Gelehrten Erasmus gilt auch für Ökonomen, die über die Geldpolitik der Zentralbanken streiten. Der US-amerikanische Nobelpreisträger Paul A. Samuelson hält diese nach Feuer und Rad für die größte Erfindung der Menschheit. Indem die Institute Leitzinsen und Geldmengen änderten, würden sie Preise, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung bestimmen. Sein Landsmann John K. Galbraith dagegen erklärt Maßnahmen gegen Teuerung und konjunkturelle Abschwünge für wirkungslos.

Dabei scheint der Theorie nach alles ganz einfach: Zentralbanken setzen den Leitzins hoch, für den sich Geschäftsbanken von ihnen Geld borgen. Diese erhöhen deshalb die Kreditzinsen. So investieren Unternehmer weniger und Verbraucher schränken den Konsum ein. Gewährt die Zentralbank weniger Kredite und verkauft Wertpapiere, ist es ähnlich: Die verringerte Geldmenge kappt die Güternachfrage und verhindert den Anstieg der Preise. Umgekehrt pflanzen sich gesenkte Leitzinsen auf den Märkten fort, regen die Nachfrage nach Darlehen an und beleben Investitionen und den Verbrauch. Die umlaufende Geldmenge steigt ebenfalls, wenn die Zentralbank Wertpapiere kauft. Dadurch komme die Wirtschaft wieder in Fahrt. Starökonom Paul Krugman meint, dass Rezessionen »schlicht und einfach mit einem technischen Versagen zu tun (haben), nämlich damit, dass der Staat nicht genug Geld druckt«. Um dann, irritiert durch die eigene Naivität, hinzuzufügen: »Ich weiß, dass man diese These leicht für einen Scherz halten mag - nur ist es eben keiner.«

Die Chefs der großen Notenbanken befolgen diese Tipps, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die Bank of Japan hält seit 1999 den Leitzins bei Null. Die neue US-Notenbankpräsidentin Janet Yellen setzt gegenwärtig die lockere Geldpolitik ihres Vorgängers Ben Bernanke wenn auch abgeschwächt fort. Im Euroraum ist der Leitzins mit 0,25 Prozent momentan so niedrig wie noch nie. Zentralbanken kaufen Massen von Wertpapieren, um billiges Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Doch der gewünschte Effekt bleibt nicht selten aus: Wider Erwarten nehmen die Unternehmen nicht mehr, sondern weniger Kredite auf. Die Liquiditätsschwemme kommt nicht bei den Produzenten an. Sie flutet die spekulativen Finanzmärkte und begünstigt die berüchtigten Blasen.

Die Wirklichkeit ist eben komplexer als die heile Welt der Lehrbücher. Die Nachfrage der Unternehmen nach Krediten hängt nicht nur von den Zinsen ab, sondern auch davon, ob die kreditfinanzierte Mehrproduktion mit Gewinn verkauft werden kann. Die Aussichten dafür sind schlecht, denn überall werden Überschüsse produziert. Da hilft es nicht, notfalls die Banken mit einem Negativzins für das Halten von Geld zu bestrafen, um sie so zu zwingen, Kredite zu vergeben. Wer leiht sich schon Geld, das er nicht braucht, nur weil gerade die Zinsen niedrig sind?

Die Zentralbanken treiben die Wirtschaft nicht, sie sind Getriebene. Trotzdem sind Wirtschaftsprofessoren voll des Lobes: Toll, wie die Institute in der Rezession die Zinsen senken und sie im Aufschwung erhöhen. Dabei sanktionieren die Zen-tralbanker nur eine Korrektur der Zinsen, die sich ohne ihr Zutun auf den Märkten vollzieht. Sie rühmen sich ihrer Erfolge gegen die Inflation, die keiner von ihnen je vereitelt hat. Die Preise für Strom, Heizöl, Kraftstoffe, Lebensmittel und andere Güter steigen seit Jahren. Dies hat mit Zinsentscheidungen und Geldmengenprognosen der Notenbanker nichts zu tun. Kein vernünftiger Mensch glaubt, dass die Teuerung bei einer »richtigen« Zins- und Geldmengenpolitik ausgeblieben wäre. Zuerst steigen immer die Preise und danach wird das dazu benötigte Geld aus dem Bankensystem abgerufen.

Die Zentralbanken reagieren auf die Zwänge einer komplexen Wirtschaft. Sicher nicht immer wirkungslos. So gelang es der türkischen Notenbank kürzlich, den Verfall der eigenen Währung vorübergehend zu stoppen, indem sie den Leitzins von 4,5 auf zehn Prozent anhob. Doch keine Zentralbank kann die ökonomischen Prozesse nach ihrem Gusto steuern. Das Gegenteil zu glauben, schreibt Galbraith, »entspringt nicht nüchternem Realitätssinn, sondern frommem Wunschdenken. So viel inbrünstige Realitätsverleugnung ist schier unglaublich.« Treffend ist deshalb ein Zitat des Schriftstellers Ludwig Thoma: »Man muss die Leute an ihren Einfluss glauben lassen - Hauptsache, dass sie keinen haben.«

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