nd-aktuell.de / 07.02.2014 / Kultur / Seite 16

Mit der Feder gegen nationalen Heroismus

Wandervogel, Exilant, Zuchthäusler und Widerstandsforscher - Eine Erinnerung an Walter Hammer-Hösterey

Arno Klönne

Beim Treffen der »Freideutschen Jugend« 1913 auf dem Hohen Meißner war er dabei: Walter Hammer-Hösterey, damals Wandervogelführer, Lebensreformer und Nietzsche-Fan. Die frühe bürgerliche Jugendbewegung war das Milieu, in dem er agierte, zunächst dem »Vaterländischen« durchaus zugeneigt, aber mit gesellschaftskritischen Zwischenrufen; so setzte er sich für die »Befreiung der Presse aus der Macht des Kapitals« in einer seiner frühen journalistischen Arbeiten ein. Als Soldat im Ersten Weltkrieg wirkte Hammer noch mit bei der journalistischen Darbietung von »Fronterlebnissen«, die jedoch der Realität des »Menschenschlachthauses«, wie es vorausschauend der Reformpädagoge Wilhelm Lamszus beschrieben hatte, nicht standhielten. Hammer wurde zum Antimilitaristen.

In der frühen Weimarer Republik bildete dann die von ihm gegründete und verlegte Zeitschrift »Junge Menschen« (1920 - 1927) den publizistischen Mittelpunkt jener Richtung in der bürgerlichen Jugendbewegung, die sich auf den Trend zum »nationalen Heroismus« nicht einließ. Das Blatt, vielfach angefeindet, richtete sich sozial-republikanisch und kriegsgegnerisch aus, es beteiligte sich an dem Versuch einer »Weltjugendliga«. Autoren wie Fritz von Unruh, Kurt Hiller, Heinz Kraschutzki, Otto Rühle, Erich Mühsam und Kurt Kläber arbeiteten mit, der Blick weitete sich hin zur Arbeiterjugendbewegung. Hammers Zeitschrift »Der Fackelreiter« (»Monatshefte für Freiheit, Fortschritt, Frieden und Recht«) schloss sich an, in seinem gleichnamigen Verlag erschien u. a. »Die blutige Internationale der Rüstungsindustrie« von Otto Lehmann-Rußbüldt, Hammer engagierte sich in der »Liga für Menschenrechte«.

Das Jahr 1933 setzte solcherart Publizistik ein brutales Ende. Hammer floh in die Niederlande, dann nach Dänemark, dort war seine Spezialität die politische Aufklärung von Touristen aus dem »Reich«. 1940 verhafteten ihn die hitlerdeutschen Besatzer des Landes, er wurde ins KZ Sachsenhausen verbracht, vor Gericht gestellt, wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu fünf Jahren Haft verurteilt und in das Zuchthaus Brandenburg-Görden eingewiesen. Nach der Befreiung blieb er dort, trat in die wiedergegründete SPD ein, wurde Mitglied der SED und arbeitete im Landesvorstand der VVN mit.

Sein künftiges Lebenswerk sah er darin, eine Stätte der Dokumentation des Widerstandes gegen das NS-Regime aufzubauen - an dem Ort, wo an die zweitausend politische Häftlinge unter das Fallbeil gekommen waren. Zunächst ließ sich sein Versuch erfolgreich an, Hammer fand Unterstützung für seine »Forschungsstelle Brandenburg«, auch die der Sowjetischen Militäradministration. Aber dann kam es zu Konflikten in der SED und der VVN, wie mit dem Erbe des Widerstandes umzugehen sei. Hammer wollte das »Andere Deutschland« in seinem gesamten politischen und weltanschaulichen Spektrum vor dem Vergessen bewahren; mit diesem Konzept geriet er zwischen die Fronten des beginnenden Kalten Krieges. 1950 verließ er fluchtartig die DDR.

In der Bundesrepublik wurde Hammer zum zweiten Mal enttäuscht. Obwohl es bei ihm nicht an Kritik der SED-Geschichtspolitik fehlte, fand seine Forschungsarbeit nur wenig Interesse bei politischen Institutionen. Es passte nicht in die offizielle westdeutsche Historiographie, dass Hammer daran festhielt, auch der kommunistische Widerstand sei in Erinnerung zu bringen. Immerhin kam sein Material in dem Band »Der lautlose Aufstand« zur Geltung, den Günther Weisenborn 1953 im Rowohlt-Verlag herausgeben konnte; über Jahre hin blieb dies die einzige nicht politisch zurechtgebogene Dokumentation des antinazistischen Widerstandes.

Lange Zeit wurde Walter Hammer von den Chronisten der Geschichte der Jugendbewegung wie auch von den Widerstandshistorikern nur randständig beachtet, zu Unrecht. Nun liegt mit der Studie von Jürgen Kolk endlich eine Biografie über ihn vor. Über einige zeitgeschichtliche Deutungen lässt sich streiten; längst fällig aber war die detaillierte Würdigung eines in der Tat herausragenden »Verlegers der Jugendbewegung und Pioniers der Widerstandsforschung«, wie Kolk betont.

Jürgen Kolk: Mit dem Symbol des Fackelreiters. Walter Hammer (1888 -1966). Metropol Verlag, Berlin 2013. 304 S., geb., 22 €.