nd-aktuell.de / 10.02.2014 / Montagmorgen / Seite 14

One-Night-Stand mit Thilo Sarrazin

Jürgen Amendt

Die ganze Stadt Berlin treibt derzeit nur ein Thema um: Hat der Leber nun recht oder nicht? Nun gut, es ist nicht die ganze Stadt und eigentlich sind es nur die üblichen Nervensägen der Online-Communities des »Tagesspiegel«, die sich aufregen. Im vorliegenden Fall hatte ein Redakteur dieser Zeitung ein Experiment gewagt. Mal sehen, was passiert, dachte sich wohl dieser Sebastian Leber. Mal sehen, was passiert, wenn ich in einem Artikel die autonome Antifa in den höchsten Töne dafür lobe, dass sie mir das Nazi-Pack vom Hals hält.

Sein Ende Januar in der Zeitung erschienenes Plädoyer mit dem Titel »Danke, liebe Antifa!« hat viele Leser des »Tagesspiegel« empört, darunter auch einen gewissen Thilo Sarrazin. Der unterstellt Leber, sich »offen über die Rolle einer gewalttätigen linken SA« zu freuen. Andere Leser sehen es ähnlich, ziehen allerdings ein positiveres Resümee. Der Staat, schreibt ein User, »lässt die Antifa die Drecksarbeit machen«, aber immerhin sei das besser als Bomberjacke und Springerstiefel im Stadtbild erdulden zu müssen. Ein anderer sieht im Schwarzen Block ein probates Mittel, um »braune Plattformen trockenzulegen«.

Ja, so ist das, lieber Sebastian Leber: Wenn es um das Trockenlegen irgendeines politischen Sumpfes geht, der in der Regel mit Stumpf und Stiel selbstverständlich ausgerottet gehört, verlangt es den linken Stammtisch nach Männern (und einigen wenigen Frauen), die nicht zimperlich in der Wahl ihrer Mittel sind. Wo gehobelt wird, fallen auch Baseballschlägerspäne.

Dabei haben alle Sebastian Leber falsch verstanden. Dem Jungredakteur des »Tagesspiegel«, der bis dato Flirt- und Party-Ratgeber fürs Hipster-Publikum der Stadt schrieb (Was tun, wenn mich der Türsteher nicht reinlässt? Was verraten Tattoos über den One-Night-Stand?), geht es in seinem Zeitungstext eher um das durch das Auftauchen von Bomberjacken und Springerstiefeln gestörte 24-Stunden-Partygefühl denn um die Gefahr, die von den Nazis ausgeht, etwa für Andersdenkende oder Andersaussehende (bzw. was sie aus ihrer Sicht dafür halten). Gäbe es die Antifa nicht, schreibt er, »gäbe es viel mehr Nazis in meinem Leben«.

Leider kann die Antifa aber nicht überall sein in der Stadt. Sie ist zum Beispiel nicht da, wenn Sebastian Leber »zu Hause in der Bergmannstraße ständig von Umweltschützern angesprochen« wird. Das stört ihn nämlich genauso wie Rechtsextreme, die mit ihm »über den Holocaust diskutieren möchten«.

Möchte die Antifa nicht die Sympathien von Sebastian Leber verlieren, sollte sie es also tunlichst unterlassen, im Kreuzberger Bergmannkiez Flugblätter zu verteilen. Sie könnte dabei ja zufällig dem blonden Jungredakteur des »Tagesspiegel« über den Weg laufen und ihm beim Nachdenken darüber stören, was ihm das Tattoo seines letzten One-Night-Stands mitteilen wollte.