Der unsichtbare Freund

Im Wettbewerb: »Aimer, boire et chanter« von Alain Resnais

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Simeon liebt Monica, Monica liebt Simeon. Davor war sie lange mit George zusammen. Tamara liebt Jack und umgekehrt, aber er hat eine Geliebte. Tamara findet George übrigens auch sehr nett. Die Liebe zwischen Colin und Kathryn brennt seit geraumer Zeit auf Sparflamme, doch ganz früher waren Kathryn und George ein Paar. Was ist dieses Beziehungsgeflecht, das sich zwar englisch anhört, aber so flirrend-flirtig französisch daherkommt? Und: Wer ist der mysteriöse George?

Die schlechte Nachricht zuerst: George Riley hat Krebs. Im Endstadium. Furchtbar, finden alle seine oben aufgezählten Freunde. Sie sind nicht mehr jung und leben in mehr oder weniger betuchten Verhältnissen im ländlichen Yorkshire. Besonders Jack, Georges bester Freund, kriegt sich kaum ein vor Kummer über Georges Schicksal. Doch wie gut kennt er ihn wirklich? Die zweite Wahrheit über George: Man sieht ihn nie. Denn George ist eine Projektionsfläche. Für Monica war er ein Schloss mit sieben Siegeln, für Jack der treue Freund. Tamara dagegen findet ihn unheimlich charmant und Kathryn schwärmt davon, wie gut er zuhören konnte.

Der andere Grund, warum man George Riley nie zu Gesicht bekommt, besteht darin, dass »Aimer, boire et chanter«, zu deutsch »Lieben, trinken und singen«, gefilmtes Theater ist. George manifestiert sich nicht einmal im Off, sondern wird einzig durch die Beschreibung der Figuren lebendig, auch der Zuschauer macht sich sein eigenes Bild. Denn der französische Altmeister Alain Resnais adaptiert zum zweiten Mal ein Theaterstück des englischen Dramatikers Alan Ayckbourn, diesmal »Life of Riley«.

Bereits in seiner zweiteiligen Marathon-Komödie nach Ayckbourn, »Smoking / No Smoking« (1993), hatte Resnais (fast) dasselbe Inszenierungsmuster angewandt. Der Film bekannte sich offensiv zu seiner Bühnenherkunft, gespielt wurde vor Pappmachékulissen im Studio. Alle Rollen übernahmen damals Pierre Arditi und Sabine Azéma. Letztere ist die Muse und Gattin von Resnais und spielt in »Aimer, boire et chanter« mit viel Humor und dem ihr eigenen übersprudelnden Temperament - böse Zungen nennen es auch Overacting - die Kathryn. Ein weiterer Stammschauspieler von Resnais, André Dussollier, gibt den höflichen Farmer Simeon - leider hat seine Rolle wenig Profil. Ansonsten ergründen Hippolyte Girardot (Colin), Caroline Silhol (Tamara), Michel Vuillermoz (Jack) und Sandrine Kiberlain (Monica) einander - und George - auf meist sehr komödiantische Weise. Alles spielt sich vor den angemalten Kulissen ab, welche die Häuser der jeweiligen Protagonisten darstellen, samt englischem Rasen oder gestapeltem Holz.

Erzählt wird der Film wie ein Countdown - der Arzt hat George nur noch maximal sechs Monate zu leben gegeben. Doch während sich alle Sorgen um den Patienten machen, scheint es diesem ganz gut zu gehen - sein musikalisches Leitmotiv ist der Walzer. Die Freunde haben ihn in die Proben eines Theaterstücks eingebunden, die man übrigens auch nie sieht (wir haben es also mit Theater im Theater im Film zu tun!), und auch dort wirbelt er die Gefühle der Damen mächtig durcheinander und entfacht die Eifersucht der Herren. Colins Uhren-Manie - einmal pro Woche stellt er seine Stand- und Wanduhren auf eine einheitliche Zeit ein - verdeutlicht ebenfalls die begrenzte Zeit der übrigen Helden, die eine persönliche Lebens- und Liebesbilanz ziehen.

Dass das englische Theaterstück dermaßen französisch herüberkommt, liegt an der Leichtigkeit von Schauspiel und Regie. Dennoch ermüdet das gefilmte Theater auf Dauer. Während Resnais in seinem letzten Film »Ihr werdet Euch noch wundern« (2012) Theater mit sehr kinematographischen Mitteln gefilmt hatte, beschränkt er sich hier radikal auf Story und Figuren. Doch dazu gibt die Vorlage trotz Witz und gutem Aufbau letztlich zu wenig her. Ein zünftiges Finale mit Schlusspointe entschädigt.

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