Tapetenflundern überall

Kammerjäger müssen in Berlin immer öfter gegen die gemeine Bettwanze ausrücken

  • Ulrike Leszczynski
  • Lesedauer: 4 Min.
Tapetenflunder ist ein Spitzname für ein Krabbeltier, das Kammerjäger in Deutschland jetzt wieder öfter bekämpfen: die Bettwanze. Allein in Berlin haben sich die Zahlen der Einsätze vervierfacht.

Der kleine Feind im Bett hat sechs dünne Beine und will Blut sehen. Dabei macht er wohl kaum einen Unterschied zwischen Luxushotel, Villa und Wagenburg: Bettwanzen sind hungrig, nicht wählerisch. Rund 16 Mal pro Woche sind Berliner Kammerjäger inzwischen unterwegs, um den lästigen Krabbeltieren in Wohnungen oder Hotelzimmern zu Leibe zu rücken - ein neuer Spitzenwert in der Hauptstadt. Seit 2007 haben sich die Zahlen fast vervierfacht. Doch es ist nicht nur ein Metropolen-Problem.

Bettwanzen oder ihre Brut reisen überall in Deutschland immer öfter ein - in den Koffern von Geschäftsleuten und Touristen aus Asien und Osteuropa. Die flinken Insekten lauern aber auch in Ritzen gebrauchter Möbel bis hin zur teuren Antiquität. »Neulich hatten wir sie sogar auf einem Luxus-Kreuzfahrtschiff«, sagt Lydia Böhm vom Bundesverband der Schädlingsbekämpfer. Sie sieht bei den Bettwanzen-Einsätzen der Branche bundesweit eine steigende Tendenz. »Erschreckend steigend«, sagt sie. »Es gibt zu wenig Aufklärung.«

Am Berliner Tropeninstitut führt Biologin Karolina Bauer-Dubau seit dem Jahr 2000 ihre eigene Statistik. Damals gab es 32 Anfragen im Jahr zu Bettwanzen, 2013 waren es 251. Es sind alles freiwillige Angaben, eine Meldepflicht für Krabbeltiere gibt es nicht. »Das eine Problem ist die Unwissenheit«, sagt die Expertin. »Das zweite ist die Scham.« Denn noch immer sind Bettwanzen mit dem Gedanken an mangelnde Hygiene verbunden. Heute völlig unbegründet, versichert Bauer-Dubau.

Nach dem Zweiten Weltkrieg galten die rotbraunen, behaarten Schädlinge dank heftiger Chemiekeulen in Deutschland als ausgerottet. Dass sie nun wieder vermehrt herumkrabbeln, hat eher mit dem Luxus vieler Reisen zu tun als mit Armut. Es reicht schon, dass ein Urlauber unbemerkt ein paar winzige Eier mitbringt, die an Schuhen, Handy, Gürtelschnalle oder CD-Hülle haften. Manchmal muss es gar keine eigener Urlaub sein - es reicht schon ein weit gereister Besucher.

»Wir sind oft bei den Schönen und Reichen, weil sie so viel unterwegs sind«, sagt Mario Heising, Vorstand beim Berliner Verband der Schädlingsbekämpfer. Manchmal bekommen Kammerjäger Anrufe von Reisenden aus dem Urlaub. Sie haben dort Bekanntschaft mit Bettwanzen gemacht - und wollen die Brut auf keinen Fall mit nach Hause bringen. »Dann holen wir die Koffer am Flughafen ab«, berichtet Heising. Dem Reisenden wird frische Kleidung empfohlen, sein Gepäck tiefgefroren. Denn gegen Bettwanzen helfen neben Chemikalien nur Temperaturen unter Minus 18 Grad - oder über 55 Grad, berichtet der Experte.

Beim Berliner Hotel- und Gaststättenverband spricht Geschäftsführer Thomas Lengfelder in Sachen Bettwanzen von »vereinzelten Fällen« in Hauptstadt-Herbergen. Der bundesweite Hotelverband führt keine Bettwanzen-Statistik. Das Problem nehme aber nicht zu, versichert Sprecher Christoph Lück.

Meist haben Menschen, die in Deutschland morgens mit juckenden Quaddeln auf der Haut aufwachen, keine Ahnung, was sie da gestochen hat. Denn Bettwanzen lassen sich tagsüber kaum sehen - sie leben versteckt in Bettritzen, Kommoden oder auch hinter der Tapete. Daher auch der Spitzname für die flachen Insekten: Tapetenflunder.

Anders als in Südamerika gibt es für Deutschland bisher keinen Nachweis, dass Bettwanzen gefährliche Krankheiten übertragen, berichtet Biologin Bauer-Dubau. Hepatitis-B-Infektionen seien aber theoretisch über den Kot der Tiere möglich, falls er in Einstichstellen gelange.

Seit sich die Biologin näher mit Bettwanzen beschäftigt, würde sie auch keine Möbel vom Flohmarkt oder aus dem Antikhandel direkt mit in ihre Wohnung nehmen. Sie rät auch bei gebrauchten Möbeln aus Internet-Käufen zu einer Zwischenstation auf Terrasse oder Balkon - zur Beobachtung. Larvenhüllen oder Kot verraten unliebsame Bewohner.

Doch auch wenn die Übeltäter enttarnt sind, warteten viele Entdecker zu lange, bis sie sich professionelle Hilfe holten, berichtet die Biologin. »Oft sind es mehrere Wochen. Da ist die nächste Generation schon geschlüpft.« Ausgewachsene Bettwanzen haben auch Tricks drauf. Anders als Mücken kommen sie wochenlang ohne nächtliche Blutmahlzeit aus - eine trügerische Ruhe, die sie da verbreiten. dpa

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