nd-aktuell.de / 13.02.2014 / Politik

NSU-Prozess: Der Nazi kommt nicht

Eine weitere Woche »Nichts« beim Münchner NSU-Verfahren

René Heilig, München
Eigentlich wäre in dieser Woche das Interesse am Münchner Verfahren gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe und ihre angeklagten Helfer mal wieder groß gewesen. Doch der Zeuge Tino Brand ist krank - sagt er.

München. Einer der einst führenden Neonazis Thüringens und der wichtigste Spitzel des dortigen Verfassungsschutzes sollte in dieser Woche vor dem NSU-Prozess in München aussagen. Es wäre die erste öffentliche Aussage von Tino Brandt, dem einstigen Chef des rechtsextremistischen Thüringer Heimatschutzes, gewesen. Zwei volle Tage hatte der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts für seine Befragung eingeplant. Doch dann wurde der mit einiger Spannung erwartete Auftritt des bauernschlauen einstigen Kameradschaftsführers urplötzlich abgesagt. Aus der Erklärung des Gerichts, herausgegeben am Dienstagnachmittag: »Der Senat wurde erst heute Nachmittag davon unterrichtet, dass im Umfeld des Zeugen Hepatitis A aufgetreten ist. Wann der Zeuge wieder geladen werden kann, steht derzeit noch nicht fest.«

Die NSU-Untersuchungsausschüsse in Berlin und der noch aktive in Erfurt verzichteten darauf, dem 39-jährigen Nazi eine Bühne zu bieten. Doch für das Gericht ist es unumgänglich, den Neonazi zu laden. Brandt organisierte Mitte der 90er Jahre in und um Saalfeld-Rudolstadt einen »Mittwochsstammtisch« der Rechtsextremisten, daraus wurde zuerst die Anti-Antifa-Ostthüringen, später der Thüringer Heimatschutz (THS) als. Anschließend führte Brandt den Zusammenschluss rechtsextremer Kameradschaften im Freistaat, der darüber hinaus vielfältige Kontakte ins ganze Bundesgebiet pflegte. Im THS fühlten sich die späteren mutmaßlichen Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) lange Zeit gut aufgehoben, bevor die drei eine »härtere Gangart« beschlossen: Sie bauten Bomben, gingen in den Untergrund und mordeten mindestens zehn Mal.

Die beiden Killer - Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos - sind tot, sie haben sich angeblich nach einem Banküberfall in Eisenach am 4. November 2011 selbst umgebracht. Die Dritte im zehnfachen Mörderbund, Beate Zschäpe, ist in München angeklagt und schweigt. So bleibt vieles im Verborgenen, existiert nur als Verdacht. Brandt kann gewiss manchen Hintergrund aufklären – zumal als gut bezahlter Zuträger. Er war Top-Informat des Erfurter Geheimdienstes zwischen 1994 und 2011 und kennt auch die Seite jener, die eigentlich für den Schutz der Verfassung und der Gesetze zuständig sind, doch im Falle der NSU-Verbrechen so kläglich versagten. Brandt kennt auch die im NSU-Prozess Mitangeklagten Ralf Wohlleben, Holger Gerlach und Carsten Schultze. Sie alle gehörten damals zum THS in Jena.

Nun also fällt die Offenbarung des Tino Brandt bis auf weiteres aus. Nicht aber der Showeffekt. Man fragt sich, wer diesen so perfekt plant. Sicher ist, dass das Oberlandesgericht in München etwas unternehmen muss, um nicht vorgeführt zu werden. Denn Brandts Gesundheitsproblem ist nicht das einzige, dass die Verhandlung ins Stocken bringt. Bereits der Verhandlungstag am Dienstag hatte abgesagt werden müssen, weil der geladene Zeuge mitteilen ließ, er befinde sich im Ausland. Der Thüringer Enrico T. hätte sich auf unangenehme Fragen einstellen müssen. Denn laut der Ermittlungen war er mit einem Schweizer befreundet, der die Ceska-Mordwaffe 1996 in seinem Heimatland gekauft hatte. Demnach stellte T. den Kontakt zwischen seinem Freund und dem Thüringer Jürgen L. her, der sie schließlich nach Jena schaffte. Mit der Schalldämpfer-Pistole wurden neun Migranten erschossen.

Bereits Anfang Januar sind in München zwei Verhandlungstage ausgefallen, weil damals zwei weitere Zeugen nicht erschienen waren. Dabei steht der vor knapp einem Jahr höchst unglücklich gestartete NSU-Prozess unter Zeitdruck. Mehrfach hatte die Bundesanwaltschaft bereits ein zügiges Verhandeln angemahnt und darauf hingewiesen, dass mit Zschäpe und Wohlleben zwei der Angeklagten in Untersuchungshaft sitzen. Derzeit ist der Prozess bis zum Jahresende durchgeplant, es scheint aber bereits sicher, dass er bis ins Jahr 2015 reichen wird.