Stets eine Nummer zu groß

Das Gelände der FDJ-Hochschule Bogensee wartet seit Jahren vergeblich auf einen Investor

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 4 Min.
Seit 1999 steht der Komplex der ehemaligen FDJ-Jugendhochschule leer. Wiederholte Versuche, die Monumentalbauten als Ausbildungsstätte und Tagungshotel zu vermarkten, blieben ohne Erfolg.

Der Zusammenbruch der DDR 1989/90 ging einher mit einem rasanten Vertrauens- und Bedeutungsverlust der den sozialistischen Staat tragenden Parteien und Massenorganisationen. In besonderer Weise traf es die Freie Deutsche Jugend (FDJ) mit ihren zunächst mehr als zwei Millionen Mitgliedern, die sich bis weit in den Herbst 1989 als Kampfreserve der SED verstanden hatte. Die Auflösung ihrer Strukturen nahm bei der Volkskammerwahl vom 18. März 1990 dramatische Formen an, ihr Vermögen und der Großteil ihres Immobilienbesitzes wurden unter Treuhandverwaltung gestellt. Das 15 Kilometer nördlich Berlins gelegene Areal der sich auflösenden Jugendhochschule »Wilhelm Pieck« am Bogensee wurde als Teil der ehemaligen Staatsgüter wieder in das Eigenturm des Landes Berlin überführt. Der Liegenschaftsfonds hat seither immer wieder ergebnislos versucht, einen Käufer für die riesige Immobilie zu finden.

Bis zur Wende war der Gebäudekomplex in den Wäldern zwischen Wandlitz und Lanke von der Öffentlichkeit weitgehend abgeschirmt. Ausgerechnet Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte der höchsten Bildungseinrichtung der FDJ einige internationale Aufmerksamkeit beschert, als er dort 1981 nach seinem Treffen mit DDR-Staatschef Erich Honecker eine Pressekonferenz abhielt. Im Vorfeld war die Einrichtung in einen ordentlichen baulichen Zustand versetzt worden und verfügte über eine vergleichsweise zeitgemäße technische Infrastruktur. So wurde die Schule bereits 1990, unmittelbar nach dem Auszug der FDJ, dank ihrer vielfältigen Seminar- und Konferenzräumlichkeiten, ihrer konkurrenzlosen Beherbergungskapazität und nicht zuletzt ihrer gastronomischen Infrastruktur zum gefragten Kongresszentrum. Erinnert sei nur an die Mitte Juni 1990 vom damaligen Ministerium für Umweltschutz und Reaktorsicherheit der Regierung de Maizière einberufene, später Bogensee-Konferenz genannte Zusammenkunft, die den Ausverkauf der DDR-Energiewirtschaft an die großen westdeutschen Stromkonzerne besiegelte.

Die Hochschule

1936 erhält Reichspropagandaminister Joseph Goebbels das Gelände am Bogensee von der Stadt Berlin zum Geschenk und lässt dort ein luxuriöses Landhaus errichten.

Im Frühjahr 1945 nehmen Truppen der Roten Armee sowie polnische Einheiten das Gelände ein und richten ein Lazarett ein.

Im März 1946 übergibt die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) das Gelände an die Freie Deutsche Jugend (FDJ).

Im Mai 1946 beginnt der erste Lehrgang in der provisorisch hergerichteten Jugendschule. Zu den ersten Dozenten gehört auch der später in den Westen geflüchtete Wolfgang Leonhard.

Seit 1950 trägt die Hochschule den Namen des damaligen DDR-Präsidenten »Wilhelm Pieck«.

Oktober 1951: Grundsteinlegung für die von Hermann Henselmann entworfenen Erweiterungsbauten

Anfangs nur für FDJler vorgesehen, schulte man später auch Jugendliche aus befreundeten Staaten und dem kapitalistischen Ausland.

Im Jahr 1990 wird die Hochschule abgewickelt, diverse Nachnutzungskonzepte, u.a. als Hotel und Ausbildungsstätte erweisen sich als nicht tragfähig, seit 1999 Leerstand.

März 2007 gründen ehemalige Absolventen, Lehrer und Angestellte den Freundeskreis der Jugendhochschule »Wilhelm Pieck«:

www.jugendhochschule.org

 

Als Nutzer trat zunächst der gemeinnützige Internationale Bund für Sozialarbeit (IB) auf, der mit wenig Erfolg neben der Ausbildung von Sozialarbeitern auch ein Hotel am Bogensee betrieb. 1991 startete das Internationale Bildungszentrum IBC mit einem völlig neuen Konzept. Die IB-Tochter richtete in dem Ensemble eine Ausbildungsstätte mit bis zu 300 Plätzen für angehende Köche, Hotelfachleute und Installateure sowie ein Tagungshotel ein. Immer wieder gab es Versuche, potente Veranstalter verlässlich an das IBC zu binden, so etwa das Land Brandenburg, das hier im Dezember 1995 seinen 3. Fremdenverkehrstag abhielt. Doch insbesondere für große Konferenzen lag der Tagungsort trotz Hauptstadtnähe vermutlich schlicht zu weit ab vom Schuss. Zuletzt nutzte die Berliner Polizei die Gebäude am Bogensee noch für Schulungen. Da hatte der IBC seine Aktivitäten längst eingestellt. Trotz Unterstützung durch das Land Berlin waren dem IBC die Kosten für den Unterhalt und insbesondere für die Instandhaltung des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudekomplexes 1999 endgültig über den Kopf gewachsen. Allein der Betrieb, die Sicherung und die notwendigsten Reparaturen verursachen pro Jahr Kosten in Höhe von bis zu 250 000 Euro. »Der Koloss am Bogensee war wohl einfach eine Nummer zu groß«, hieß es am Ende.

Seither liegt das respekteinflößende Ensemble brach, sind seine monumentalen Bauten und Parkanlagen dem Verfall preisgegeben. Einzig die Waldschule der Berliner Forstverwaltung harrt in der Nachbarschaft aus. Die Abgeschiedenheit, ein funktionierender Wachschutz und aufmerksame Anwohner sorgen dafür, dass sich Vandalismusschäden bis heute in Grenzen halten. Doch es kommt immer wieder zu Einbrüchen, und 2011 montierten Diebe unbehelligt eine wertvolle Bronzeskulptur ab und machten sich mit ihrer mehr als eine halbe Tonne schweren Beute auf und davon. Vor allem aber setzen Wind und Wetter sowie wild wuchernde Pflanzen der Substanz zu. Durch defekte Dächer, Regenrinnen und Fenster dringt Wasser ein, die Schäden an den Fassaden, aber auch an den Wänden und Parkettfußböden im Innern sind inzwischen nicht mehr zu übersehen.

Bei der Suche nach einem Käufer für die Bogensee-Immobilie muss das Land Berlin besonderes Augenmerk walten lassen. Denn deren Vergangenheit ist nicht nur durch die Nutzung als DDR-Kaderschmiede politisch sensibel. Zum Gebäudekomplex gehört auch das sogenannte Waldhaus Bogensee, das zwischen 1936 und 1945 dem Nazi-Propagandisten Joseph Goebbels und seiner Familie als Zufluchtsort und repräsentativer Landsitz diente. Das Haus mit eigenem Bunker avancierte in den 30er und 40er Jahren zu einem Treffpunkt für die Stars des Naziregimes wie Zarah Leander oder Heinz Rühmann.

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