Weggebaggerte Hoffnungen

Auf St. Pauli zeigt sich, was von SPD-Versprechen zu erwarten ist

  • Angela Dietz
 und Folke Havekost, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Abriss der »Esso-Häuser« auf Hamburg-St. Pauli hat begonnen. An- und Bewohner fordern ein Mitspracherecht der Betroffenen.

Die Bagger stehen vor Ort, die Mieter stehen vor offenen Fragen. In dieser Woche begannen vorbereitende Maßnahmen zum Abriss der umkämpften und wegen Einsturzgefahr im Dezember geräumten Esso-Häuser und einer aus dem Fernsehen bekannten Nachttankstelle an der Reeperbahn. Was aus den in Zwischenunterkünften untergekommenen Mietern wird, ist weiter unklar. Der Eigentümerin Bayerische Hausbau, die den Gebäudekomplex 2009 von Jürgen Schütze erwarb, wird vorgeworfen, den Verfall der beiden achtstöckigen Häuser aus spekulativen Gründen begünstigt zu haben.

»Ein Viertel der ehemaligen Bewohner hat immer noch keine neue Wohnung«, berichtet Christina Röthig von der Initiative-Esso-Häuser, die sich seit langem für eine Beteiligung der Be- und Anwohner an den Planungen einsetzt. Bislang vergeblich. Auf der Stadtteilversammlung »St. Pauli selber machen!« forderten 400 anwesende Anwohner am vergangenen Wochenende, dass ein Neubau aus 100 Prozent Sozialwohnungen bestehen sollte. Die bisherigen Bewohner und Gewerbetreibenden dürften zudem keinen schlechteren Mietbedingungen ausgesetzt werden. »Im künstlich verknappten Hamburger Wohnungsmarkt ist zu viel, nicht zu wenig Geld«, heißt es in einer Erklärung. »Soziale Spaltung der Stadt, gesichtslose Investorenarchitektur und Mietpreise, die Kreativität unmöglich machen«, seien die Folge.

Daneben verschwindet auch ein Stück St. Pauli-Geschichte. »Das trifft einen schon persönlich«, sagte Lars Schütze am Mittwoch und guckte dabei etwas bedröppelt auf den Bagger. Sein Großvater, der Reeperbahn-Garagenbesitzer Ernst Schütze errichtete 1961 die Wohnhäuser und führte auch die Esso-Tankstelle. »Kein nächtliches Eis oder Franzbrötchen, keine überteuerte H-Milch, keine tiefergelegten Schlitten beim Waschen und Betanken mehr«, trauert der Aufruf zu einer Kundgebung, die am Samstag um 15 Uhr nicht nur Nostalgie ausdrücken, sondern auch den Druck auf den neuen Eigentümer erhöhen soll.

Ein erhöhter Sozialwohnungsbau sei »für uns wirtschaftlich nicht möglich«, erteilte Bernhard Taubenberger von der Bayerische Hausbau den Forderungen bereits eine Absage. Das Unternehmen will nur jede dritte Wohnung als Sozialwohnung bauen, wie es vom Gesetz für ihren Fall vorgeschrieben ist. Dass die behördlichen Bauauflagen nicht härter ausfallen, stößt auf Missfallen bei der Initiative SOS St. Pauli. Ihre Kritik richtet sich auch gegen die in Hamburg allein regierende SPD, die bei den Bundestagswahlen 2013 auf St. Pauli mit 25,5 Prozent knapp vor Linkspartei und Grünen landete. »Die SPD hat die letzte Wahl in Hamburg nicht zuletzt mit dem Versprechen gewonnen, Wohnungsnot, Mietenexplosion und Verdrängung in den Griff zu bekommen«, heißt es im »Ballhaus-Manifest« der 400 versammelten St. Paulianer: »Bezirksamtsleiter Andy Grote galt für Manche sogar als Hoffnungsträger, der einen gewissen Sinn für St. Pauli und seine abweichenden Lebensentwürfe und erfinderischen Subkulturen haben könnte. Beide Hoffnungen werden derzeit bitter enttäuscht.«

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