Mit Erlaubnis des Staatspräsidenten

Skisprungolympiasieger Kamil Stoch ist Polens neuer Nationalheld - heute hebt er wieder ab

  • Thomas Dudek
  • Lesedauer: 3 Min.
Was hat er, was ich nicht habe? Adam Małysz war einmal: Weil Kamil Stoch im Gegensatz zum Schnauzbartträger Olympiagold gewann, ist er Polens neuer Liebling.

Im Hintergrund überschlägt sich die Stimme des polnischen Sportreporters, »Gold«, während im Warschauer Olympiastudio des staatlichen Fernsehsenders »TVP« die Moderatoren und geladenen Experten sich abklatschen. Der bekannteste von ihnen ist Adam Małysz. Sekunden zuvor saß die polnische Skisprunglegende noch in seinem Stuhl und beobachtete nervös, wie Kamil Stoch zum entscheidenden zweiten Sprung ansetzte.

Als diese Aufnahmen Anfang der Woche auftauchten, versuchten sich sofort viele polnische Sportfans und Journalisten als Verhaltenspsychologen. Hat sich Małysz für Stoch gefreut oder schmerzt ihn der Erfolg des aktuellen Weltcupführenden? Denn Małysz’ erfolgreiche Karriere hat einen Makel: Bei den Olympischen Winterspielen musste er sich mit drei Silbermedaillen und einmal Bronze zufrieden geben. Die Antwort auf diese Frage gab Małysz auch gleich. »Meine Medaillen würde ich sofort gegen jene goldene tauschen, die Kamil nun hat«, gab der Sieger der Vierschanzentournee von 2001 offen in einem Fernsehinterview zu. Doch von Neid will er nichts wissen. »Kamils Erfolg war für mich ein unglaubliches Erlebnis«, erklärte Polens bekanntester Schnauzbartträger und stimmte damit ein in den nationalen Jubelchor.

Und dieser kennt seit Sonntagabend kein Halten mehr. Staatspräsident Bronisław Komorowski rief den Skispringer persönlich an - während dieser dem polnischen Fernsehen ein Interview gab. Sportgrößen wie Robert Lewandowski oder der NBA-Profi Marcin Gortat gratulierten Stoch schon kurz nach seinem Sprung per Twitter. Auch die Sportfans lassen in den Nachrichtenforen und sozialen Netzwerken ihrer Freude freien Lauf.

Dass die Begeisterung für Stoch so groß ist, hat mehrere Gründe. Einerseits hat der Skispringer mit seiner Goldmedaille den Durst der Nation nach sportlichen Erfolgen gestillt. Nach dem Skispringer Wojciech Fortuna, der 1972 in Sapporo gewann, und der Langläuferin Justyna Kowalczyk, die 2010 und auch jetzt in Sotschi aufs Siegerpodest steigen konnte, ist Kamil Stoch erst der dritte Pole, der bei den seit 1924 ausgetragen Olympischen Winterspielen eine Goldmedaille erringen konnte.

Ein weiterer wichtiger Grund ist Stoch selber. Dessen Erfolg wird als ein in Erfüllung gegangener Traum gefeiert: Weil Stoch im Alter von zwölf Jahren unbekümmert einem Fernsehteam erklärte, einmal Olympiasieger werden zu wollen. Aufnahmen, die das Fernsehen dieser Tage in seinem Archiv wiederentdeckte und die viele Polen rührten. Zudem verstand es Stoch zusammen mit seinen Mannschaftskollegen die Skisprungwettbewerbe von Sotschi zu einem nationalen Ereignis zu machen. Bis auf Maciej Kot springen die Polen mit speziell für sie lackierten Helmen, auf denen patriotische Elemente verarbeitet sind. Besonders sticht aber Stochs Helm heraus, für den er sich sogar die Erlaubnis des Staatspräsidenten sowie des Verteidigungsministeriums holen musste. Denn die seinen Kopfschutz schmückende »Szachownica« ist das Wappen der polnischen Luftstreitkräfte.

Der wichtigste Grund für den aktuellen Enthusiasmus ist jedoch die Begeisterung der Polen für den Skisprung, die seit den Erfolgen von Małysz ungebrochen ist. Selbst die Weltcupwettbewerbe haben oft mehr Fernsehzuschauer als die Spiele des Fußball-Nationalteams. Ein Umstand, der auch die Werbeindustrie aufmerksam werden ließ - und dadurch den polnischen Skiverband nachhaltig veränderte. Aus dem PZN, der 1994 Adam Małysz nicht mal seine erste Teilnahme an der Vierschanzentournee finanzieren konnte, wurde ein hochprofessioneller Sportverband, der heute mit Millionen hantiert.

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