Spuren des Körpers im Raum

An Kalers »Contingencies« in den Uferstudios

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Anfang stand ein kurzes Solo über das Cowboysein und das Reiten, mehr inspiriert von bildender Kunst als vom Tanz. Kein Wunder, denn mit sechs Jahren begann An Kaler zu reiten, das habe den Körper geformt und zur Auseinandersetzung angeregt. Mittlerweile, so hört man im Gespräch mit An Kaler, die Wert auf eine geschlechtlich nicht eindeutige Zuordnung legt, nicht mit »sie« oder »Choreografin« tituliert werden möchte, interessieren Kaler nicht bloß Bilder und Befindlichkeiten. Vielmehr gehe es darum, in die Schichten von Bewegung einzudringen.

So addiert sich zu Kalers Ausbildung in Transmedialer Kunst an der Universität für Angewandte Künste in Wien das, was der Bachelor-Studiengang »Zeitgenössischer Tanz, Kontext, Choreografie« am Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz in Berlin eingebracht hat: die Bekanntschaft mit verschiedenen Techniken und ihre Aufhebung in der eigenen Arbeit. Bereits An Kalers zweite Aufführungsserie, »Insignificant Others«, setzte auf Bewegung. Die Tänzer verschoben ihre Oberkörper unmerklich, dann in den Raum hinein, unsichtbare Kräfte schienen sie zu treiben, ließen die Schwere der Gliedmaßen durch ruckhafte Abläufe sichtbar werden. Elektronischer Klang tröpfelte über den Tanz, flackernd angeleuchtete Rechtecke brachten optische Zäsuren ein. Wie Marionetten wirkten bisweilen die Tänzer bei der Zerlegung der motorischen Abfolgen.

Dass es Parallelen zwischen dieser Arbeit und dem neuen Stück gibt, gesteht An Kaler zu. »Contingencies«, interpretierbar als Möglichkeitsräume, entsteht mit fünf Tänzer_Innen, will tiefer in das Spiel von Bewegung eindringen und basiert auf Kalers gewachsener choreografischer Erfahrung. Das Material werde nicht ganz genau vorgegeben, eher handle es sich diesmal um »Schreiben von Bewegung in Echtzeit«. Zwar sei der Rahmen festgelegt, er biete aber genügend Spielraum für die Tänzer. So sind die Bewegungssequenzen zunächst mit jedem einzeln gesucht worden, ehe sich beim Prozess der Montage die Teile nochmals verändert haben.

Auch An Kaler wird die Recherche am eigenen Körper und die Begegnung mit anderen Körpern stets wichtiger. Die Spuren des Körpers im Raum und das Spannungsverhältnis zwischen Körper und Raum gehören dabei zu den zentralen Fragen. Dazu fließen immer wieder Medien wie Malerei, Fotografie oder Video in den Entstehungsprozess als Ergänzung zum Tanz ein. Wie unterschiedlich der Körper live funktioniert oder im Video, das fasziniert Kaler ebenfalls.

Inzwischen hat An Kaler mit den Stücken international gastiert, in Wien, Salzburg und Leuven, Kraków, Poznan, Stockholm und bei einem Festival im französischen Seine-Saint-Denis. Dass sich die Tanzstücke je nach Aufführungsort verändern, ihm angepasst werden, gehört zur Arbeitsmethode. So fand eine Aufführung im zu einem Park hingewendeten Wiener Galerieraum statt, danach im Berliner HAU 3, das über keinerlei natürliches Licht verfügt. In Poznan trat die Gruppe in einer ehemaligen Brauerei auf, mit Ziegelwänden und einer tief hängenden Holzdecke: wiederum eine andere Qualität von Raum, der einen fast filmischen Eindruck hinterließ.

Der Erfolg bedeute auch Befreiung, sagt An Kaler, weil so viele Varianten einer Vorgabe entstehen. Mit jedem Ort, jeder Aufführung wachse das Stück, ohne zu fragen, welches die perfekte Version wäre. Arbeiten sei damit ein Prozess, bei dem der Weg wichtig wird und bei dem auch schwierige Aufführungen das Wachstum befördern. Man hangle sich mit Fragen von Stück zu Stück, meint An Kaler, und hieraus ergeben sich wiederum neue Fragestellungen. Auch im Umgang mit Licht, Ton und Kostümen. Am Ende gehe es in der choreografischen Arbeit vornehmlich um das Ausloten neuer Verhältnisse zwischen Menschen und ebenso zum Zuschauer, der durch den Akt des Zusehens in den Gesamtvorgang eingebunden ist. Auch der Zuschauer habe seine Tagesverfassung, würde das Stück an einem anderen Tag möglicherweise anders rezipieren.

Was muss ein Tänzer für diese kreative Arbeit mitbringen? An Kaler veranstaltet keine Auditions, braucht Persönlichkeiten, weniger nach einer speziellen Technik ausgebildete Tänzer. So stehen für »Contingencies« markante Performer mit starker Intensität zu Gebote, aus Belgien, Frankreich, Australien und, Kaler selbst, Österreich. Am Computer erzeugte Live-Musik aus Rauschen und verfremdetem Instrumentalklang begleitet die fünf Silhouetten: als eine in sich differenzierte Gemeinschaft.

19.-22.2., Uferstudios, Studio 14, Uferstr. 8/23 & Badstr. 41, Wedding, Karten unter (030) 46 06 08 87

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