nd-aktuell.de / 20.02.2014 / Brandenburg / Seite 12

Ein Auslaufmodell zieht um

Anwohner im Gensinger Viertel retten mit Protesten ihre Post

Marlene Göring
Einem Viertel in Lichtenberg bleibt seine Post erhalten. Das schont nicht nur die Beine der Älteren - es hilft auch gegen die Verödung des Kiezes.

Friedrichsfelde Ost, gleich hinter dem kleinen Busbahnhof an der S-Bahnstation: In einem Flachbau stecken die »Seddiner Passagen«. Ruhig ist es im Döner-Imbiss, der Sparkasse und der Änderungsschneiderei. Nur eine Glastür schiebt sich beständig auf und zu. Menschen tragen Päckchen hinein oder heraus, andere haben leere Hände, alle ein geschäftiges Gesicht.

Nein, schlecht besucht wirkt die Post-Filiale an der Seddiner Straße nicht. Trotzdem wird sie zum 31. März schließen. Nur mit viel Mühe haben Anwohner und Bezirk erreicht, dass stattdessen das neue Einrichtungsgeschäft »La Maison« die Postaufgaben übernimmt.

Ohne diesen Ersatz? »Eine Katastrophe«, sagt Else Fischer. Die ältere Dame wohnt in der Gegend. Mindestens dreimal die Woche kommt sie her. Schickt Briefe an Ämter und Karten an die Enkel, erledigt ihre Bankgeschäfte am Schalter. Oft trifft sie hier Nachbarn und alte Bekannte. In die Filiale am S-Bahnhof Lichtenberg, 1,7 Kilometer weit weg, kann sie nicht. »Mit dem Bein, wie soll das gehen?«, fragt sie mit großen Augen. 83 Jahre ist Fischer jetzt alt. Computer oder Smartphone hat sie nie angefasst.

Wilfried Gramoll hat zwar ein Handy. Briefe schreibt er trotzdem. »Das ist doch mehr, als wenn es heißt, XY hat angerufen«, meint der 77-Jährige. »Schauen Sie sich mal um, hier wohnen doch viele Leute«, sagt er. Er kann nicht begreifen, warum das nicht reicht, um eine Filiale zu betreiben.

Dank des Engagements einiger Bürger können Gramoll und Fischer auch weiter ihre Briefe am Schalter aufgeben. »Es gab heftige Proteste gegen die Schließung«, sagt Andreas Geisel (SPD), Bezirksbürgermeister in Lichtenberg. Bei ihm und anderen Bezirkspolitikern. Schließlich fasste die Bezirksverordnetenversammlung einen Offenhaltungsbeschluss, Geisel sprach mit der Post. Zwingen kann man sie rechtlich aber nicht, eine Filiale offenzuhalten. Wie auch an anderen Orten fand sie gerade rechtzeitig den Partner, der das Geschäft mit den Marken nebenbei übernimmt. Minus den Bankbetrieb. Ein Teilerfolg: Mit »gemischten Gefühlen« hätten die Anwohner auf die Nachricht reagiert, erzählt Geisel. Er kann beide verstehen: die älteren Kunden und die Post. »Wir sind in einer Umbruchphase. Das Nutzerverhalten geht nun mal dahin«, sagt er und meint Online-Banking und E-Mails.

Auch die alte Filiale wurde nicht mehr von der Post selbst, sondern von der Postbank betrieben. 2011 kündigte sie an, ihre Niederlassungen fast komplett abzubauen oder in andere Hände zu geben. Für Heidi Schwager ist das nur ein Anzeichen von vielen: Langsam verödet ihr Kiez. Schon seit 1999 hat sie einen Friseursalon in den »Seddiner Passagen«, lebt selbst um die Ecke. »Früher konnte man hier richtig bummeln«, erzählt sie. »Heute braucht man schon ein Taxi, um einen Briefkasten zu finden.« Ein Laden nach dem anderen schließe. »Wer es sich leisten kann, zieht weg.«

5000 Menschen leben im Gensinger Viertel und dem Rosenfelder Ring. Nicht mal genug, um einen Supermarkt zu halten: Seit Jahren bemüht sich Geisel darum, einen Betreiber für einen großen Lebensmittelladen zu finden, um die Versorgung im Kiez zu verbessern. Bisher hätten alle abgelehnt. Weil 5000 Menschen nicht genügend Umsatz generieren.