nd-aktuell.de / 28.02.2014 / Politik / Seite 2

Premier Jazenjuk nennt neue Regierung »politisches Kamikaze«-Kabinett

Parlament in Kiew bestimmte mit großer Mehrheit neues Kabinett / Kein Geld in der Staatskasse und weniger Gold in den Kellern

Klaus Joachim Herrmann
Die Opposition im ukrainischen Parlament wurde zur Koalition. Deutlich mehr als ihre eigene Mehrheit stimmte für das neue Kabinett.

»Alles, was in unseren Kräften steht, und das, was für die Ukraine getan werden kann, werden wir tun«, versicherte der neue Regierungschef der Ukraine, Arseni Jazenjuk, am Donnerstag während der Parlamentssitzung. Er ließ erst das Kabinett bestätigen, dann reichte er zwei »starke« Mitglieder nach: Andrej Deschitza als Außen- und Admiral Igor Tanjuch als Verteidigungsminister.

Mehr als nur Unbehagen offenbarte der Hinweis des Premiers, des bisherigen Fraktionschefs der Vaterlandspartei im Parlament, bei der neuen Regierung handele es sich um ein »politisches Kamikaze-Kabinett«, also einen Selbstmörderklub. Diesem gehören vornehmlich Vertreter der Vaterlandspartei von Julia Timoschenko an, aber nach den bis zum Nachmittag vorliegenden unvollständigen Angaben auch mindestens drei Vertreter der rechten Ultranationalisten aus der Partei Swoboda, dazu mehrere Aktivisten vom Maidan.

Beschwerde kam allerdings sofort aus eben diesem Protestlager auf dem Unabhängigkeitsplatz. Kandidaten für Kabinettsposten hätten am Vorabend auf dem Maidan weder sich noch ihre Programme vorgestellt, beklagte der Vertreter einer Gruppierung vor Medienvertretern. Ultimativ wurden bis 5. März mehrere Gesetze gefordert, darunter die Festlegung auf eine vorgezogene Wahl der obersten Volksvertretung noch im Herbst. Ansonsten werde der Rücktritt des amtierenden Präsidenten Alexander Turtschinow angestrebt.

Im Parlament muss dem Premier, der sein Abgeordnetenmandat abgibt und nicht als Präsidentschaftskandidat antreten will, um die Mehrheit erst einmal kaum bange sein. Das neu formierte Regierungsbündnis, die Koalition »Europäische Wahl«, bringt bei insgesamt 450 Sitzen in der Obersten Rada 250 Abgeordnete und damit ein klares Übergewicht auf die Waage. Für den neuen Regierungschef stimmten sogar 371 Deputierte.

Doch damit ist noch nichts über die künftige Stabilität des Zusammenschlusses gesagt, dem vor allem die bisherigen Oppositionsparteien Vaterland (Batkiwschtschina) von Julia Timoschenko, UDAR (Schlag) von Vitali Klitschko und Swoboda (Freiheit) des Rechtspopulisten Oleg Tjagnibok angehören. Denn es stehen noch schwerere Zeiten als bisher bevor. Die Staatskasse sei »geplündert und leer«, barmte der Regierungschef, dem genauere Angaben nach eigenem Bekunden allerdings noch nicht zur Verfügung standen. Die Staatsschulden bezifferte er auf 75 Milliarden US-Dollar. Die Goldreserven des Landes hätten sich seit dem Jahre 2010 von 37 Milliarden auf 15 Milliarden US-Dollar mehr als halbiert. Unklar blieb, ob der Kursverfall des Goldes an den internationalen Märkten eingerechnet wurde. Kredite in Höhe von 37 Milliarden US-Dollar seien »in unbekannter Richtung verschwunden«.

Vielleicht kommt ihnen Arseni Jazenjuk, der die Übergangsregierung bis zu den Präsidentschaftswahlen am 25. Mai führen soll, sogar auf die Spur. Der 39-Jährige ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler, leitete die Notenbank und war früher bereits Parlamentspräsident, Außenminister, aber auch Chef des Wirtschaftsressorts.

Russland wolle wissen, »welches Programm, darunter auch zur Stabilisierung der Wirtschaft, von dieser neuen Regierung konzipiert wird«, hatte dessen Außenminister zu Wochenbeginn wissen lassen. Er machte in diplomatischer Form sein schwer misszuverstehendes Angebot: »Jetzt ist es sehr wichtig, Bedingungen für den normalen Wiederaufbau und die Entwicklung der Wirtschaft zu schaffen. Und das erfordert einen sofortigen Stopp jeglicher Gewalt, die Wiederherstellung der Rechtsordnung und die nationale Aussöhnung.«

Die in Moskau erscheinende Zeitung »Kommersant« verbreitete, Russlands Handels- und Industriekammer solle Investoren finden, die mehr als fünf Milliarden Dollar in Projekte auf der Krim investieren. Die Investoren würden dies jedoch erst erwägen, wenn sich die politische Lage in der Ukraine beruhigt habe.