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Wo Utopie von der Realität eingeholt wird

Erprobung eines Lebens in Gemeinschaft: »Hinter den Bergen« von Erich Köhler

  • Hinnerk Einhorn
  • Lesedauer: 4 Min.

Am 28. Dezember 2013 wäre Erich Köhler 85 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass hat der Verlag Kulturmaschinen als dritten Titel seiner Erich-Köhler-Serie nach »Sture und das deutsche Herz« und »Radauer oder Aufstieg und Fall von Politanien« jetzt »Hinter den Bergen« neu herausgebracht.

Als viele von uns an jenem 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz für eine Veränderung der Verhältnisse in der DDR demonstrierten, stand Köhler, als angestellter Autor im Gut Radensdorf im Spreewald auf den Rosten bei den Jungrindern, um diese nicht in ihrem Dreck verkommen zu lassen. In der Folge der gesellschaftlichen Veränderungen verstand Köhler seine dringlichste Aufgabe als Agitator seiner »Poetik - Initiative«. Außer dem hochartifiziellen Bändchen »Blasmagorien« (Spottless 1996) und hin und wieder Kurzgeschichten, die oft im ND veröffentlicht wurden, fand er nicht mehr Zeit und Kraft für einen großen epischen Stoff. Sein bedeutender Roman »Sture« fiel ja leider ins »Wende«-Loch und fand seinen Platz hauptsächlich beim Bücher bergenden Pfarrer Weskott.

Stunde Null, »Hinter den Bergen«: Das Gejaule eines Hundes weckt die Leute im Flecken Ruhin, die gerade mit Müh und Not den Weltkrieg überlebt haben. Und da steht auch noch der Abendstern über der wrackigen Scheune von Bauer Wunderow. Als die Bauersleute und Zugelaufenen der Sache auf den Grund gehen, bemerken sie, dass Hund Kuno der eben gebärenden Alma und ihrem Kümmerling Hans Hilfe herbeigerufen hat. Armin Rufeland, selbsternannter Prediger, vor kurzem einem Todesmarsch von KZlern entkommen, erkennt ein Zeichen des Himmels. Die deutliche Analogie zur Geschichte von Betlehem ruft ihn zur Tat. Rufelands christliches Sendungsbewusstsein und die geduldige Bereitschaft der Dörfler, nach dem Grauen von Krieg und Nachkrieg nun ein ganz anderes Leben zu erproben, setzt eine Bewegung in Gang, die man als urchristlich oder kommunistisch bezeichnen könnte. Es wird gerackert im Gemeininteresse. Statt auf Handtuchfeldern, wird von großen Schlägen geerntet und in die Gemeindescheuer verbracht. Nicht jeder einzelne kocht sich sein Süppchen, sondern die Gemeinschaft wird ganz effektiv durch Almas zweifelhafte Kochkünste beköstigt. Schließlich errichtet man gar das Fundament einer klösterlichen Wohnstatt für alle. Und jedem soll später Zeit und Muße und Poesie gewährt sein.

Doch »vor den Bergen« dreht sich die Welt in einem anderen Gang, ordentlich den realen Verhältnissen entsprechend. Zunächst einmal soll das Eigentümerbewusstsein der Neubauern auf eigenem Grund und Boden entwickelt werden, kollektives Wirtschaften ist Zukunftsmusik.

Obwohl die Ruhiner ihr Plansoll auf den großen Schlägen beispielhaft erfüllen, verlangen Partei und Rat des Kreises, das utopische Gewese zurückzudrängen und dem allgemeinen Trend Rechnung zu tragen. Bolle, einem cleveren Handelsmann, gelingt es teuflisch gut, Konsumbedürfnisse zu wecken, die schließlich den gelebten Gemeinsinn unterlaufen - »während die Utopie gleich welcher Art trotz eines genialen, aber eben doch vereinzelten Ausrufers bald auf ihre Grenzen stößt und zugrunde geht« (S.353). So sagt es der raunende Beschwörer, der den Gang der Handlung organisiert.

Köhler zeigt sich als veranschaulichender, zunehmend ironischer Erzähler mit Poesie und philosophischem Tiefgang. Epische Gerechtigkeit ist sein Erzählprinzip, all die Bäuerlein und Funktionäre sind liebevoll gezeichnet in ihrem So-Sein und Gewordensein. Auch der starke Ratsvorsitzende Achtel, der einen erlittenen Herzinfarkt mit seiner einstmals erlernten Tätigkeit als Fliesenleger im Ruhiner Waldbad kuriert. Alma, die Tätige, jene junge Madonnengestalt an der Krippe zum Beginn des Geschehens, ist mit ihren sechs Kindern von fünf Vätern anhaltend ein Ärgernis der Dörfler und erschöpft sich doch für die Kommunität und ihre Kinder. Köhlers ganze Sympathie gilt dieser wunderbaren Frauengestalt und auch ihren wohlgeratenen Kindern, die zu tragenden Gestalten der Gemeinschaft werden in einem Flecken, der nach all den Wirrnissen seine besondere Rolle als begehrtes Erholungsgebiet findet.

Der Verlag hat dem Roman eine Würdigung von Werk und Person Erich Köhlers durch Eva Kaufmann aus dem Jahre 1978 nachgestellt. Illustrative Blätter von Toni Köhler-Terz sind schmückendes Beiwerk.

Gerade nach fast vierzig Jahren des Erscheinens und mit historischem Abstand zur DDR-Realität fesselte mich Köhlers Erzählwerk mehr und mehr. Das wünsche ich jedem Leser, auch wenn gewiss alte Wunden schmerzen.

Erich Köhler: Hinter den Bergen. Roman. Kulturmaschinen Verlag. 398 S., br., 19,90 €.

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