nd-aktuell.de / 04.03.2014 / Politik / Seite 8

Arme, Alte und Ausländer werden verdrängt

Mietervereinsvorsitzender Eckard Pahlke fordert jährlich 10 000 neue Wohnungen in Hamburg

Dr. Eckard Pahlke ist seit fast 40 Jahren Vorsitzender des Mietervereins zu Hamburg und mit der Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt vertraut wie kein anderer. Der 71-Jährige ist in seiner Funktion als Vizepräsident der Dachorganisation Deutscher Mieterbund (DMB) ein gefragter Ansprechpartner für die Medien. Volker Stahl sprach für »nd« mit dem Juristen über die Gründe der Wohnungsknappheit in der Hansestadt. Foto: Stahl

nd: Hamburg gehört zu den attraktivsten Städten in Deutschland. Welche Folgen hat das für die Mieter?
Pahlke: Hamburg ist zunehmend beliebt, nicht nur bei Touristen. Man rechnet bis 2020 mit gut 50 000 zusätzlichen Bürgern. Notstand in der Frage »wo soll ich wohnen« besteht für alle, die nach einer Wohnung suchen.

Wie beurteilen Sie die Wohnungspolitik des seit drei Jahren regierenden SPD-Senats?
Der Senat, insbesondere die für Wohnungspolitik zuständige Senatorin Jutta Blankau, macht einen guten Job. Mit allen wohnungswirtschaftlichen Verbänden, Bezirken und unserem Mieterverein wurde ein »Bündnis für Wohnen« ins Leben gerufen. Es soll den Wohnungsbau vorantreiben, entsprechende Bemühungen koordinieren, Genehmigungsverfahren straffen. Die Aufgabe des Mietervereins liegt im Bemühen, Bürgerinteressen, zum Beispiel in Fragen der oft notwendigen Verdichtung, Dachgeschossausbauten zu Wohnraum etc., zu bündeln und Überzeugungsarbeit zu leisten.

In Hamburg stehen viele Baukräne, 11 000 neue Wohnungen werden gebaut. Deckt das den Bedarf?
Ich hege Zweifel, ob die vielen Baukräne dem Wohnungsbau dienen. Oft stehen sie für die Mieten verteuernden Sanierungen oder Gewerbebauten. Sollten tatsächlich die vom Bündnis angestrebten 6000 Wohnungen jährlich entstehen, wäre das ein Tropfen auf den heißen Stein. Mindestens 8000 bis 10 000 neue Wohnungen wären jährlich nötig, davon ein Drittel öffentlich gefördert, also Sozialwohnungen.

Ist der Wohnungsmangel in Hamburg eine Folge von Versäumnissen der bis 2011 zehn Jahre lang regierenden CDU-Senate?
Alle Senate haben den Wohnungsbau vernachlässigt. Oft habe ich dabei Absicht vermutet, denn einige den Grundeigentümern näher stehende Politiker hatten wenig Interesse an ausreichendem Wohnraum. Knappheit fördert hohe Mieten.

Entstehen heute genug Sozialwohnungen?
Nein. Wenn jährlich 5000 Wohnungen aus der Sozialbindung fallen mit der Folge rasant steigender Mieten, sind die im Neubau angestrebten 2000 bis 3000 Sozialwohnungen zu wenig. Im Bestand ist die Entwicklung nicht zu stoppen, im Neubau müssen längere Bindungen her.

Die Ärmsten der Armen werden infolge steigender Mieten an den Stadtrand verdrängt?
Ja, es gibt leider noch »Schmuddelecken«, in denen sich sozial schwache Bürger drängen, die berühmten »A’s«: Ausländer, Aussiedler, alleinstehende Frauen, Alte, Arbeitslose...

… und in ehemaligen Schmuddelvierteln Schanze, St. Georg, St. Pauli drängen sich heute die Reichen?
Sie drängen sich dort nicht, ziehen aber oft dorthin, weil in den ehemals attraktiven Stadtteilen bezahlbare Wohnungen kaum noch anzumieten oder zu kaufen sind.

Was macht diese Viertel attraktiv?
Schöne sanierte Altbauten sind in und oft wegen ihrer Größe auch familiengerecht oder für den Bedarf und Geschmack reicher Singles geeignet.

Welcher Stadtteil wird als nächster gentrifiziert? Wilhelmsburg?
Wilhelmsburg war schon lange mein Favorit, nicht nur wegen der Internationalen Bauausstellung oder der Gartenschau - auch wegen der Universitätsplanungen. Die Lage als Elbinsel, die Stadtnähe und gute Verkehrsanbindung bietet viel. Ich verstehe oft nicht, weshalb der Begriff Gentrifizierung einen negativen Touch hat. Aufwertung von Stadtteilen ist eine gute Sache. Die wollen die Bewohner auch, auch Alteingesessene. Nur ist einem allgemeinen Mietanstieg entgegenzuwirken, der Umwandlung in Eigentumswohnungen, der Verdrängung der Altbewohner und kleineren Gewerbetreibenden. Nichts ist kommunikativer als ein Tante-Emma-Laden, eine Dönerbude oder der Schuster um die Ecke. Das gilt es zu schützen.

Mit welchen Instrumenten kann man Mietsteigerungen stoppen?
Eine Mietbremse bei Neuvermietungen von Wohnraum, wie sie kommen soll, ist wichtig, auch eine Deckelung der Mieten im Bestand. Soziale Erhaltensverordnungen sind gut, aber gegenüber cleveren Spekulanten oft ein stumpfes Schwert. Genehmigungsvorbehalte bei Sanierungen oder Umwandlungen in Eigentum können umgangen werden, Vorkaufsrechte der Stadt werden mangels Geld nicht wahrgenommen. Wichtig wäre auch eine Reform des Gewerbemietrechts, um kleine Gewerbebetriebe besser zu schützen.

Wie ist das Verhältnis zwischen dem Mieterverein und der Wohnungswirtschaft, also Grundeigentümerverband und Maklervertretern?
Bis auf »Ausrutscher«, wenn einzelne Makler oder Vermieter beziehungsweise deren Verwalter verrückt spielen, ist das Verhältnis zum Mieterverein als kollegial zu bezeichnen.

Wie steht der Mieterverein zum Genossenschaftsgedanken?
Wohnungsgenossenschaften bilden die optimale Wohnform: Sicheres Wohnen ohne Drohung von Eigenbedarf, Mitspracherecht und moderate Mieten lassen die Bewohner gut schlafen. Öffentliche Wohnungen sollten nur an Genossenschaften verkauft werden, wenn sich Städte, Kommunen oder andere öffentliche Einrichtungen von ihren Wohnungsbeständen trennen wollen oder wegen Finanzbedarfs müssen. Leider gehen große Wohnungsbestände mit fatalen Auswirkungen für die Mieter an sogenannte Heuschrecken, die ihre Mieter eher »gemein« als »gemeinnützig« behandeln.

Verlangt die Stadt für Baugrundstücke zu viel Geld?
Das wird der Stadt oft vorgeworfen, ist aber wegen der Ausschreibungsverfahren nicht zu verhindern. Man geht dazu über, Grundstücke verbilligt an Investoren zu vergeben mit deren Verpflichtung, zum Teil sozial- oder familiengerechte Wohnungen zu errichten.

Im Grundgesetz steht: »Eigentum verpflichtet«. Halten sich Hamburger Wohnungseigentümer daran?
Nicht immer, aber ab und an: Der Mieterverein macht oft die Erfahrung, dass - meist private - Grundeigentümer auf an sich berechtigte Mieterhöhungen verzichten, wenn deren Mieter finanziell schwach sind. Viele nutzen aber brutal alle Möglichkeiten von Mieterhöhungen aus - oft auch mit unlauteren Mitteln.