Für entscheidende Sekunden fehlen Erinnerungen

Mordanklage gegen 68-Jährigen nach zwei gezielten Schüssen auf seine ehemalige Lebenspartnerin

  • Lesedauer: 3 Min.
Über einen Mord aus niederen Beweggründen verhandelt seit Montag das Berliner Landgericht. Angeklagt ist ein 68-jähriger Brandenburger.

Der 68-jährige Robert T. war bis zum 14. September ein unbescholtener und gottesfürchtiger Bürger aus dem brandenburgischen Ort Marwitz. Jeden Sonntag zog er sich seinen dunklen Anzug an und lauschte andächtig der Predigt des Pfarrers. Er verpasste keinen Gottesdienst.

Doch zum Kirchgang am 15. September sollte er nicht mehr kommen. Da saß er bereits in Untersuchungshaft, nachdem er Stunden zuvor mit seiner Magnum seine Lebenspartnerin in ihrer Berliner Wohnung mit zwei Schüssen niedergestreckt hatte, heißt es in der Anklage. Er soll sich unter dem Vorwand, einige Textilien aus der Wohnung der 20 Jahre jüngeren Partnerin abholen zu wollen, mit ihr getroffen haben. Mit der Bitte um eine Plastetüte soll er sie dann abgelenkt haben. Dann schoss er aus 40 Zentimeter Entfernung auf die ahnungslose Frau. Die erste Kugel traf das Herz, die zweite die Lunge. Jeder einzelne Schuss war tödlich. Als Motiv nennt die Staatsanwaltschaft, der Rentner habe es nicht akzeptieren können, dass das Opfer die siebenjährige Beziehung habe beenden wollen und sie sich einem anderen Mann zugewandt hatte.

Robert T. erzählt eine ganz andere Geschichte. Es sei eine zutiefst harmonische Wochenendbeziehung gewesen, erzählte er dem Gericht. Trennungsabsichten habe es nie gegeben. Nach seiner und ihrer Scheidung von den jeweiligen Partnern habe man gut zusammengelebt, mal in Berlin und mal in Marwitz glückliche Stunden verbracht. In den sechs Monaten der Untersuchungshaft habe er sich immer und immer wieder das Gehirn zermartert, was an jenem Abend geschehen sei. Ein vollständiges Bild sei nicht möglich.

Er sei, so sagt er, an jenem verhängnisvollen Sonnabend zu ihr in die Wohnung gefahren, um seinen zweiten guten Anzug für Schneiderarbeiten abzuholen. Als er das Quartier betrat, war ein Freund der Partnerin anwesend, der aber nur ein Freund und nicht mehr gewesen sei. Die beiden sollen sich von gemeinsamen Badeausflügen an den Flughafensee Tegel kennen, sagt der Angeklagte. Dem fiel plötzlich ein, dass er seine Pistole beim letzten Besuch im unbewohnten Kinderzimmer hatte liegen lassen. Robert T. ist Sportschütze, besitzt einen Waffenschein, die Pistole hatte er nur deshalb in der Wohnung deponiert, um sie in Berlin bei einem Waffenhändler zum Kauf anzubieten. Er sei mit der Waffe aus dem Kinderzimmer gekommen, dann hätte ihn ein harter Schlag getroffen. Dadurch habe er das Bewusstsein verloren. Er sei erst wieder in der Klinik aufgewacht. An die Zeit dazwischen habe er keinerlei Erinnerungen. Jeden Tag versuche er nun, das Mosaik zusammenzusetzen, doch es gelinge ihm nicht.

Die Spurenlage ist eindeutig. An der Hand und am Ärmel des Schützen befanden sich Anhaftungen von Rußpartikeln. Außer dem Opfer, dem Freund von der Badewiese und dem Täter war niemand in der Wohnung. Ein anderer Schütze kommt also nicht in Betracht. Auf die Frage des Vorsitzenden, warum ein so erfahrener Schütze seine Waffe so sträflich leichtsinnig in der Wohnung herumliegen lässt, weiß Robert T. keine Antwort. Und noch mehr Ungereimtheiten kommen ans Tageslicht. So gibt es Drohungen auf dem Anrufbeantworter der Frau. Danach sei Robert T. sehr wohl eifersüchtig gewesen gegenüber dem Freund vom Badesee. »Dafür werdet ihr mir beide büßen«, heißt es in einem der Anrufe. Für Freude und Familie der getöteten Kathrin T. war klar: Die Frau hatte die Beziehung zu dem 20 Jahre älteren Mann beendet und dies auch öffentlich gemacht. Doch davon wollte der Todesschütze nichts wissen. Für ihn lief alles weiter so harmonisch wie bisher.

Die entscheidende Rolle in dem Prozess wird der psychiatrische Gutachter spielen. Bescheinigt er dem Angeklagten, dass er zur Tatzeit nicht zurechnungsfähig gewesen war, kann er für die Todesschüsse nicht verurteilt werden. Kommt er zu dem Ergebnis, dass die Erinnerungslücken nur gespielt sind, dann wird der Rentner den Rest seiner Tage im Gefängnis verbringen. Das Urteil soll Mitte April gesprochen werden.

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