Vivantes betätigt sich als Immobilienhändler

Ein Wohnprojekt psychisch Kranker in Berlin-Schöneberg ist in der Existenz bedroht

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine Immobilie des Vivantes Konzerns in Berlin-Schöneberg beherbergt ein Wohnprojekt für 40 psychisch Erkrankte. Jetzt soll das Gebäude verkauft werden.

In der Dominicusstraße 5-9 in Berlin Schöneberg wohnen seit mehr als 14 Jahren 40 psychisch schwerstkranke Menschen, betreut von der Pinel gGmbH. In dem mehrgeschossigen Haus befindet sich außer den betreuten Wohnungen noch eine Tagesklinik des Auguste-Viktoria-Krankenhauses.

Jetzt will der Eigentümer, der Klinikkonzern Vivantes, die Immobilie verkaufen. Am Mittwoch könnten Ausschüsse des Berliner Abgeordnetenhauses mit ihren Entscheidungen noch zum Erhalt der Einrichtung beitragen. Ende der 90er Jahre hatte das Auguste-Viktoria-Klinikum das Gebäude für eine symbolische D-Mark vom Land Berlin übernommen. Der Vertrag sah auch eine Zweckbindung für den Gesundheitsbereich vor – und ist jetzt nicht mehr auffindbar. Mittlerweile ging die Immobilie in den Bestand des später gegründeten Vivantes-Konzerns über. Das Unternehmen, zu 100 Prozent im Besitz des Landes Berlin, will aber jetzt sein Portfolio bereinigen. Dabei spielen die Bedürfnisse der jetzigen Bewohner offensichtlich keine Rolle mehr, sondern nur noch der höchste erzielbare Preis.

Bisher angedeutete Alternativen sind schlicht inakzeptabel. Eine Vivantes-Sprecherin verwies darauf, dass der neue Eigentümer die Mieter übernehmen könnte. Das buddhistische Zentrum, das vermutlich den Zuschlag bekommt, will das aber nicht. Hier sollen nach baulichen Veränderungen in Zukunft Schulungen stattfinden, hat Pinel-Geschäftsführer Bernd Gander gehört.

Auch ein Aufschub von zwei Jahren nützt nicht viel: Für die Bewohner würde das Leben auf einer Baustelle zu viel Unruhe bringen. Schon für psychisch Gesunde wäre das Stress, für Menschen mit einer Angsterkrankung oder einer chronischen Schizophrenie ist es nicht zumutbar. »Einige unserer Klienten waren schon stark beunruhigt, als in der Nähe ein Supermarkt geschlossen wurde«, berichtet Georg Mast, der den Wohnbereich in der Dominicusstraße leitet.

Auch eine Umsiedlung auf das Gelände des Auguste-Viktoria-Klinikums kann sich Gander kaum vorstellen: Das sei ohnehin schon stark verdichtet. Außerdem ist es sehr fraglich, Menschen, die eigentlich aus den Krankenhausmauern heraussollten, wieder in solche zurückzubringen. Denn die Einrichtung des betreuten Wohnens bedeutet Enthospitalisierung. Dafür engagiert sich die Pinel gGmbH seit Jahrzehnten. Andere geeignete Immobilien in Schöneberg seien nicht in Sicht. Außerdem gehört das Projekt zur sogenannten Pflichtversorgung und kann den Bezirk nicht wechseln.

Kaum in Euro zu bewerten sind die gewachsenen Bindungen der Bewohner zu ihrer Umgebung, die mühselig errungene Normalität. »Da ist der Zahnarzt, der Kiosk und die Kirchengemeinde – ein lebendiges Netzwerk«, erzählt Georg Mast. Benachbarte Hauseigentümer hätten den selbstständigeren unter den Bewohnern Mietverträge angeboten, sobald sie die enge Betreuung nicht mehr benötigen. Mast und sein Chef Gander können sich auch gut vorstellen, was es bedeutet, irgendwo eine neue Einrichtung anzusiedeln, mit Vorurteilen neuer Nachbarn kämpfen zu müssen.

Die Pinel-Gesellschaft hatte sich zudem ebenfalls am Bieterverfahren beteiligt. Der freie Träger konnte bei dem Mindestgebot von 1,6 Millionen Euro mithalten. Später erklärte er sich sogar bereit, mit Hilfe von Krediten auf 2,5 Millionen Euro aufzustocken. Zunächst, so Gander, hatte er den Eindruck, dass Vivantes zum Erhalt der Einrichtung bereit sei. Jedoch haben Gander, seine Kollegen und die Pinel-Klienten zumindest die Schöneberger Politik hinter sich. Alle Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlung unterstützen den Erhalt der Einrichtung am jetzigen Standort. Auch die parteilose Bundestagsabgeordnete der Linken, Azize Tank, hat Unterstützung zugesagt. Einfache Lösungen sind möglich: Entweder der Senat weist Vivantes an, das Haus an die Pinel-Gesellschaft zu verkaufen. Oder die Abgeordneten im Unterausschuss Vermögensverwaltung fassen heute einen solchen Beschluss.

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