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Das Lachen der Lämmer

Ab Donnerstag im Kino: Der Dokumentarfilm »Beltracchi - Die Kunst der Fälschung« von Arne Birkenstock

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 8 Min.

Was für ein neckischer Schelm aber auch! Sieht aus wie ein Klon von Dürer im jugendlichen Selbstbildnis vor gut 500 Jahren: lange blonde Locken, freches Bärtchen. Ein Gemälde übrigens, von dem es hieß, dass es einst gut gefälscht wurde. (Auch der Pelzrock sollte nicht fehlen. Das Detail, das Dürer als Kennzeichnung von Rang, Schönheit und Recht benutzte, findet sich auf einem Porträtfoto von ihm - Teil einer Gemäldecollage, inszeniert mit einem Freund -, als es ihm selbst schon nicht mehr so gut ging. Ein bisschen Augenzwinkern war dabei, ein bisschen echte Hybris.) Gefragt nach seinen handwerklichen Fähigkeiten als Maler, ob er zum Beispiel wie Rembrandt malen könne, kommt’s selbstbewusst: »Kann ich.« Und Leonardo? »Kann ich auch. Is’ nich schwer.« Und das meint er ernst: Wolfgang Beltracchi.

Dieser Supermaler vereint mehrere Superlative auf sich. Er hatte einen Kunstfälscherskandal ausgelöst, der wohl der größte der deutschen Nachkriegsgeschichte war. Um mehr Geld zu bekommen, als eigene Bilder eingebracht hätten, hatte er sich Moderne-Klassiker der sogenannten zweiten Reihe vorgenommen, u.a. Heinrich Campendonk, Max Pechstein, auch Max Ernst, kopierte deren Gemälde jedoch nicht, sondern schuf perfekt »nachempfundene« Werke, die, wie er sagte, im Œuvre dieser Künstler noch gefehlt hätten. Lässig, wie wahre Größe es sich leisten kann, gibt er über die Qualität der Fälschungen und seine Arbeitsweise u.a. zu Protokoll: »Einen Linkshänder male ich mit links.«

Er könne alles malen, außer Bellini, der sei ihm zu schwer, kokettiert er mit sympathieträchtigem Understatement, und tatsächlich hat noch nie ein Kunstfälscher gleich mehrere Dutzend Maler nachgemacht. Bislang gab es »Spezialisierungen« auf zwei, drei, eine Handvoll. Mit seinen Fälschungen hat er so viel Geld eingesackt wie kein anderer auf dieserart Abwegen. Er hat, nachdem er entdeckt war, durch seinen Fall direkt und indirekt aufgedeckt, wie der internationale Kunstmarkt aktuell funktioniert. Kein Sachbuch kommt heran an die Brisanz dieser Enthüllungen - eines Mannes (eines Bandenoberhaupts), der ja gezielt dessen fragwürdige Mechanismen ausnutzte. Er hat alle blamiert: den Kunstexperten, den Kunsthändler, den Auktionator wie den Käufer. Und, weitere Superlative, hat zwei Bücher aus seiner Wohl-und-Wehe-Zeit extrahiert (Autobiografie und Briefwechsel mit seiner Frau) und sich zu einer öffentlichen, hofierten Person machen lassen: Plaudereien aus dem Nähkästchen im Fernsehen, in Talkshows und jetzt im Film.

Als ausgesprochen filmreif hatten schon seinerzeit Beobachter im Verhandlungssaal des Kölner Landgerichts das Geschehen geschildert, als der damals 60-Jährige Rede und Antwort zu stehen hatte. An eine Komödie war schon gedacht, was der »Jahrhundertfälscher« (Spiegel) aber ablehnte. Es hätte gut gepasst, wenn die Geschichte verfilmt worden wäre, wie es anlässlich der Verfehlungen hoher Politiker - Karl-Theodor von und zu Guttenberg, Christian Wulff - schnell passiert ist. Noch besser allerdings ist es gekommen: Beltracchi ist jetzt sein eigener Hauptdarsteller geworden - in Arne Birkenstocks Dokumentarfilm, der am Donnerstag in den Kinos startet. Dieser ist ein Doppelporträt des Paares, natürlich mit dem Robin Hood in eigener Sache als Dreh- und Angelpunkt, und er setzt voraus, dass man durch die Medien alles über die Causa schon weiß.

Zum Beispiel, dass Wolfgang Beltracchi, geborener Fischer, und seiner Frau Helene, deren Schwester Jeanette S. und Kompagnon Otto S. wegen schweren bandenmäßigen Betrugs der (kurze) Prozess gemacht worden ist. Verkürztes Verfahren dank Geständnis. (Es ging in der Verhandlung um nur 14 Bilder, wegen 50 liefen Ermittlungen. Für die 14 Gemälde hatte er sich rund zehn Millionen Euro einstecken können, beim Weiterverkauf auf dem Kunstmarkt kam zum Teil das Mehrfache zusammen.) Dass er zu sechs Jahren Haft verurteilt worden ist, seine Frau zu vier Jahren, zu »verbüßen« im offenen Vollzug. Dass sie fürs wohlfeile Handeln mit den Fälschungen die - mit äußerst originell verfertigten Nachweis-Fotos gestützte - Legende gewoben hatten (»’ne Supernummer« - W.B.), der Großvater der Frau, der Kölner Werner Jägers, habe von einem berühmten Kunsthändler Werke erworben und während der Nazi-Zeit versteckt: Bilder aus der Sammlung Alfred Flechtheim, der 1933 vor den Nazis nach Paris geflohen war und 1937 in London gestorben ist.

Die hochkarätige Sammlung Flechtheims ist zu erheblichen Teilen bis heute verschwunden. Das machten sie sich zunutze. Über die Jahre hinweg boten die Beltracchis immer wieder »Nachahmungen«, von denen man aus Katalogen wusste, über ein Dutzend Galerien und Auktionshäuser zum Verkauf an. Ihr Leben führten sie fortan luxuriös. Eine »Domäne« in Südfrankreich sprang dabei heraus, eine 670-Quadratmter-Villa in Freiburg - Traumimmobilien, die jetzt gepfändet wurden.

Der bunte Vogel wird von Arne Birkenstock als Erstes beim Anrühren von Farbe gezeigt - saftig sinnlich solcherart Tätigkeit, dessen Faszinosum auch beim Dokumentarfilm über den Maler Gerhard Richter, der unlängst in den Kinos zu sehen war, einen Großteil der Filmwirkung ausmachte. »Dieses Gelb, ach, ist das schön, ich könnte es ablutschen«, sagt der Lehrmeister in Sachen Betrügerei versunkenen Blicks zu Beginn des Films, der im Folgenden vorführen wird, wie Beltracchi bei seinen Fälschungen vorgegangen ist.

Birkenstock konnte sich schon nach Verurteilung des Ehepaares im Spätherbst 2011, als es noch ein Vierteljahr auf freiem Fuße war, ins Selbstvermarktungsprogramm des cleveren Rosstäuschers einklinken. Er begleitete den ewigen Sunnyboy, der bis heute die äußere Putzigkeit seiner verflossenen Hippiezeit pflegt und die im Film auch ausgiebig aus dem umfänglichen Familienfoto- und -filmarchiv illustriert wird, dann auch bis ins Gefängnis, genauer: Er zeigt, wie Beltracchi von einem Mithäftling, der über und über tätowiert ist, von diesem lebenden Kunstobjekt also, Zeichnungen anfertigt, denn er muss nun mit ehrlicher Arbeit sein Geld verdienen: Da ist die Kopie einer Haut zu Markte zu tragen. Wenn er, Beltracchi, den Burschen tätowiert hätte, wäre der in Gefahr, dem würden sie die Haut abziehen. Dies nur eine der permanenten Äußerungen von Selbstsicherheit. Die wird nur ein einziges Mal leicht irritiert: als er ein nun wirklich mal selbst geschaffenes Gemälde präsentiert und ihm gesagt wird, dass dafür wohl kein Käufer zu finden sein würde.

Pikant: Der Regisseur ist der Sohn des Strafverteidigers Beltracchis. Das - und der Delinquent erinnert sich (in seinen Memoiren) gern der Abendessen mit seinem gerichtlichen Beistand - dürfte der Glaubwürdigkeit und Objektivität des filmischen Extrakts aus der Nabelschau des unredlichen Großverdieners nicht unbedingt förderlich sein. Birkenstock - um vermeintlich der Befangenheit zu entgehen - begibt sich nicht aufs glatte Eis der Hintergründe und Zusammenhänge der gigantischen Geldumwälzanlage Kunstmark, auch die Richter hatten schnell diskret abgeblendet. Stattdessen hat er sich den Nebenschauplatz ausgesucht: die Frage nach Authentizität, warum das eine Kunst ist und das andere nicht. Er lässt dem Kriminellen einerseits den Sympathiebonus, den er durch seine saloppe Art, seinen Verbrecherwerdegang zu kommentieren bzw. zu demonstrieren, beim Zuschauer erst einmal kassiert, und andererseits bringt er die feixende Unverfrorenheit dazu, sich selbst zu entlarven: dass er als Maler nichts als ein guter Handwerker ist.

Er dreht, als die Beltracchis ihre Anwesen räumen. Ein Apple-Computer landet da mit hohem Schwung im umschilften Wasser - was darin gespeichert war, nur Unnützes oder nicht vielleicht Desavouierendes? - der Film lässt es offen. Er dreht, wie die beiden auf Flohmärkten alte, billige Bilder erstehen, deren Leinwände dann die materielle Basis der Fälschungsobjekte werden. Und Beltracchi stopft schließlich, nicht ohne stille Verachtung für die Leichtgläubigkeit derer, die ihm auf den Leim gegangen sind, als abschließenden Fälschungsakt echten Dreck aus Barcelona um 1950 in den zuvor erworbenen alten Keilrahmen und glättet die abgeschabte und mit seinem Falsifikat bemalte Leinwand mit dem Dampfbügeleisen. Da riecht der Zuschauer förmlich, was er nicht für möglich gehalten hätte. Und Imagepfleger Beltracchi hat überhaupt eine feine Nase für den Staub der Kunstgeschichte: Ob ein Bild aus Deutschland, Frankreich oder Belgien kommt, meint er, am Geruch erkennen zu können. So bastelt er an seinem Künstlermythos.

Der Prozess der Entstehung eines Bildes in der Art von Max Ernst wird geradezu minutiös genüsslich zelebriert. Das macht sich gut auf der Leinwand. Wer schon immer mal wissen wollte, wie man ein Bild fälscht - im Film Birkenstocks kann er einen Lehrgang absolvieren. Wie ein TV-Kochkurs kommt dies daher. Helene Beltracchi habe, sagt sie, mit des Mannes Tätigkeit - sie sagt nicht »Missetaten«, denn beide geben sich stets als lachende Unschuldslämmer - kein Problem gehabt, denn es »war eben sein Beruf«, wie eine Berufung. Wenn der Mann, der von 1970 bis 2010 300 Bilder fälschte, und dem man darauf kam, weil er »aus reiner Faulheit« eine Farbtube benutzte, statt die Farbe selbst anzurühren, eine Farbe aus der Tube, ein Titanweiß, die der echte Maler nicht benutzt haben konnte, wenn dieses Schlitzohr sich zu keinem anderen Fehler bekennt, als das Titanweiß aus der Tube verwendet zu haben, dann ist man geneigt zu bedauern, genau wie er, dass er nicht noch zehn Millionen hatte machen können, zwei, drei Bilder also, um sich einen Palazzo in Venedig zu kaufen. Danach hatte Schluss sein sollen. Stattdessen - und er sieht sich wegen der Nächte im Gefängnis schwer gestraft - hat er »den Palazzo mit der Zelle getauscht«.

Bei der Filmpremiere in Köln konnte er stolz den Verkauf eines Gemäldes für 35 000 Euro melden. Dass Fälschungen - die keine mehr sind, denn er signiert ja jetzt mit Beltracchi - ihre Käufer finden, hatte man schon bei anderen Kunstfälschern erlebt. Jetzt muss er nämlich hart arbeiten, die Schulden sind zu tilgen, die Gläubiger abzufinden. Nur leider, nachdem er es mit den Staatsanwälten hinter sich gebracht hat, steigt mittlerweile das Finanzamt in seine Spur.

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