Weltweit neue Wälle

25 Jahre nach 1989: In Dresden wurde die Konzertreihe «Einstürzende Mauern» eröffnet

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Was bleibt - von Mauern und Menschen«, so das Motto des ersten Konzertes der siebenteilige Reihe »Einstürzende Mauern« im Dresdner Hygiene-Museum. Es bürstete quer. Denn der ursprünglichen Idee der Projektanten, zurückzublicken auf »25 Jahre Mauerfall« und diesem »bedeutenden historischen Ereignis« mit retrospektiven Aufführungen zu entsprechen, folgte das Konzert kaum. Gegenwart, geschichtlich in den Blick genommen, ist offenkundig gefragt.

Für gewöhnlich werden bei solchen Anlässen die alten Geschichtskamellen und Heldenstorys aufgetischt, garniert mit schwarzen Rogen aus der Küche der Jahn-Behörde und der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen. Ausgespart wird im offiziösen Gerede von der »gewaltlosen Revolution« indessen meist deren Ergebnis: den brutalen Kapitalismus endlich loszutreten und ganz Deutschland einzuverleiben - alsbald im Maßstab des Globus. Und es gibt kein Halten.

Dresden geht anders vor: Eine weiße Pappmauer fällt auf der Bühne ins Auge. In Stephan Froleyks’ Stück »mixed with sorrow«, Bericht einer jungen Irakerin von ihrer Flucht aus Bagdad »nach dem zweiten Krieg«, wird sie zerschlagen. Das tun die kompositorisch aufgebrachten Vokalisten des Ensembles AUDITIVVOKAL Dresden.

25 Jahre Mauerfall 2014. Muss da nicht der vielen gedacht werden, die heutigentags von Mauern, Stacheldraht und sonstigen Anlagen umzingelt sind, seien es Mauern aus Beton oder jene unüberwindlichen Grenzen um Europa herum, von Mauerstreifen in Jerusalem, zwischen den USA und Mexiko, in Nikosia und anderswo, mit jährlichen Toten, die in die Zehntausende gehen? Konzerte können dazu ihren wenn auch geringen Teil leisten. Sie können indirekte Kommentare geben. Und sei es, sie stimmten ein wenig nachdenklich, eine bestimmte Sache betreffend, einen Gedanken aufgreifend, der zu einem nächst wichtigeren führt.

Rainer Bredemeyer, seit 1995 weilt dieser wunderbare Mensch und Künstler nicht mehr unter uns, ist Gewährsmann hierfür. Das AUDITIVVOKAL unter Olaf Katzer bot mehrere bislang unaufgeführte Chorstücke von ihm. Eins versinnbildlicht einen Text von Brecht: »Was nicht fremd ist, findet befremdlich!/ Was gewöhnlich ist, findet unerklärlich!/ Was da üblich ist, das soll Euch erstaunen./ Was die Regel ist, das erkennt als Missbrauch./ Und wo ihr den Missbrauch erkannt habt/ Da schafft Abhilfe.« Die letzten beiden Zeilen kommen deutlich, im zweifachen Forte. Reflex auf die Verschleierungstechniken der Lenker des zu zerreißen drohenden Globus.

Mit Georg Katzers elektroakustischer Komposition »Mein 1989« hob das Konzert an. Gewiss, sie hat einen abbildnerischen Zug, allzu nobel passieren Ereignisse Revue, aber das Stück spart Splitter der Geschichte nicht aus. Das fleißige Picken der »Mauerspechte« erstickt im Goebbelschen Durchhaltegeschrei und dem Sirenengeheul, bevor die Bombenflieger ihre Luken öffnen. Dem Ablauf des vom Tonband gespielten Stücks gesellten sich Figuren zweier Tänzerinnen.

Vornehmlich gestohlenes, über Ausbeutung erzieltes Eigentum bedarf der modernen Umzäunung. Seit Langem boomt die Hightech-Sicherheitsanlagen-Industrie. Nach dem »Fall der Mauer« schossen bekanntlich unzählige neue Zäune ins Kraut - um die Privathäuser und Grundstücke herum. Welch eine Aktivität. Wälle wider den Diebstahl, der der herrschenden Ordnung innewohnt. Das zweite Stück von Georg Katzer »Hoch, hoch, hoch« - es bezieht sich indirekt darauf - setzt selbst geschriebene fiktive Nachrichten der Börse heiter-satirisch ins Bild. Erst als in einer einzigen Nacht die gesamte Weltwirtschaft zusammengekracht sei, heißt es im Text, seien die Worte an der Anzeigewand verstanden worden. »Game o-ver! Game o-ver!«

Festung Europa. »Frontex«. Zerstörte Seelen jener in Not geratenen Flüchtlinge. Was, wenn die Menschen willentlich, per Gesetz nicht gerettet werden? Georg Friedrich Haas’ »Schweigen II. LAMPEDUSA« setzt sich damit auseinander. Ein Stück für Sängerinnen und Sänger, die Schweigen höchst beredt machen. Vokalisen glissandieren filigran gegeneinander. Monotonie waltet. Die tiefen Register intonieren zuletzt nur noch Vokalpartikel. »Über vieles wird nicht gesprochen./ Über Unbequemes, Schmerzliches/ Beunruhigendes« (Georg Friedrich Haas).

Von der Empore aus zeigt der Bassist Cornelius Uhde per ausdruckserfüllter Stimme den »Spiegel der Erde«. Samir Odeh-Tamimi, aus Israel stammender Palästinenser, hat das Solostück 2011 so sparsam wie eindringlich komponiert. Ein Gesang, die ganze globale Not umfassend, der wahrlich ins Mark geht.

Eine fabelhafte Eröffnung der Konzertreihe. Möge sie das Jahr über so weiter laufen.

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