Bestimmer im Hinterzimmer

Filme von Harun Farocki

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 2 Min.

Das Modell eines riesigen Büros - mit Schreibtischen, Fenstern, Miniaturmitarbeitern - wird auf einen Tisch gestellt und besprochen. Das Team einer Hamburger Unternehmensberatung hat ein Konzept für sogenanntes modernes Arbeiten für die Filiale eines Mobilfunkriesen entworfen. Nun entspinnt sich ein Brainstorming über Arbeitswelten, das »Open-Space-Prinzip«, Unternehmenskultur, Flexibilität.

»Ein neues Produkt« lautet der Titel des 36-minütigen Dokumentarfilms von Harun Farocki. Zu sehen ist das Werk (2012) des renommierten Filmemachers, Drehbuchautors und Medienkünstlers am 6. März im Berliner Kino Arsenal, als Teil einer Retrospektive von sieben Filmen Farockis. Als aktivistischer Filmemacher begann der 70-Jährige seine Karriere. Heute beleuchten seine Filme die Wechselwirkungen zwischen Medienwelt und sozialen, kulturellen und politischen Phänomenen.

Oft stehen Aktionen im Kleinen für gesellschaftliche Prozesse, ja für die heutige Weltordnung. Wenn im Film die Berater über die Köpfe der Angestellten hinweg über Flexibilität am Arbeitsplatz dozieren, heißt das, dass Mitarbeiter sich innerhalb des Büros keine persönliche »Wohlfühloase« einrichten sollen. Schließlich wird der »Erfolgsfaktor« in das Bürokonzept mit eingebaut.

Marktwirtschaftlicher Effizienz haben sich die Konzepte unterzuordnen, auch wenn zwischendurch etwas unbeholfen von flachen Hierarchien oder Empathie gesprochen wird. Doch selbst das Fitness-Center innerhalb eines Hamburger Großunternehmens ist mit seinem Entspannungsangebot nur Teil der erstrebten maximalen »Performance«.

Ebenso faszinierend ist Farockis langer Dokumentarfilm »Die Schöpfer der Einkaufswelten« (2001), in dem es um die mathematisch-wissenschaftliche Beeinflussung des Kunden innerhalb von Einkaufszentren geht. Mit einem Augenscan wird das Blickfeld der Einkäufer abgemessen, in den Regalen ihre Erwartungshaltung im Horizontalen (Warenbereich) und Vertikalen (ein bestimmtes Produkt) kalkuliert. Indem Harocki seine Kamera in den Hinterzimmern der Bestimmer platziert oder sie auch beim Verrücken von Supermarktwänden und der neuen Warenanordnung von Regalen beobachtet, schafft er Szenen, die selbstredend sind.

Regelmäßig erblickt man im Film auch Computersimulationen und Aufnahmen von Überwachungskameras innerhalb der Shopping Malls. Hier misst man Bewegungsströme und errechnet Algorithmen, um das Konsumverhalten der Kunden zu beeinflussen. Kommentare braucht Farocki dafür ebenso wenig wie für seine Videoinstallation »Ernste Spiele«, die im Museum Hamburger Bahnhof in Berlin ausgestellt ist. Sie zeigt US-Soldaten bei virtuellen Kampfübungen am Computer. Ausbilder bauen ihnen Minen und feindliche afghanische Einheimische in den Parcours ihrer Panzer - Krieg wird zum Computerspiel.

Am 6. März, 19 Uhr, wird Harun Farocki im Gespräch mit Anselm Franke im Arsenal über die beiden Filme des Abends sprechen (www.arsenal-berlin.de); Videoinstallation im Hamburger Bahnhof bis 13. Juli.

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