Esoterik für Deutschlands neue Verantwortung

Eine Konferenz mit sozialdemokratischer Unterstützung will Deutschlands Führungsrolle mit überraschenden Methoden unterstützen

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 3 Min.
Esoterik und Politik - geht das zusammen? Eine mit rot-grüner Prominenz geplante Konferenz legt das nahe. Wieder geht es darum, Deutschland für seine »neue Verantwortung« fit zu machen.

Unlängst hat Bundespräsident Gauck offen ausgesprochen, was schon seit Jahren immer wieder anklingt: Deutschland soll mehr weltweite »Verantwortung« übernehmen - also beispielsweise mehr oder schneller Militär entsenden - und sich dabei nicht von seiner »historischen Schuld« bremsen lassen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Militärministerin Ursula von der Leyen (CDU) stimmten in die Beschwörung eines Verantwortung für die Menschenrechte tragenden Deutschland ein. Sie alle erhalten nun offenbar Ansporn durch eine Konferenz, die als ungewöhnliche Flankierung mit den Mitteln der Esoterik angesehen werden kann.

Schirmherrin ist Gesine Schwan, die nicht nur eine der prominentesten und renommiertesten Politikwissenschaftlerinnen Deutschlands ist. Die ehemalige Präsidentin der Viadrina-Universität Frankfurt (Oder) wurde auch beispielsweise 2004 und 2009 von der SPD als Bundespräsidentschaftskandidatin aufgestellt. In der SPD-Grundwertekommission sitzt sie, abgesehen von einer 12-jährigen Unterbrechung, seit 1977, aktuell als Vizevorsitzende.

Schwan ist zudem Präsidentin der Berliner Privathochschule Humboldt-Viadrina School of Governance GmbH. Dort lehrt auch Barbara von Meibom, emeritierte Politikwissenschaftsprofessorin der Uni Duisburg-Essen und Mit-Koordinatorin der Konferenz. Ihr 2013 erschienenes Buch »Deutschlands Chance. Mit dem Schatten versöhnen« liegt der Konferenz zu Grunde. Meibom sieht hierzulande »das Trauma des Nationalsozialismus« nachwirken und will »heilende Bewusstheit« mobilisieren, um blockierte Energien zu lösen, weil »Deutschland« mit der Macht, die das Land faktisch habe, auf Grund der Nazi-Schuld nicht gut umgehen könne.

In Berlin hat Meibom ein »Institut für Führungskunst«, macht »Coaching« und ist unter anderem Ausbilderin für »Psychosynthese«. Dieser Lehre geht es unter anderem um die individuelle »transpersonale Entwicklung«, die »den unmittelbaren Kontakt mit der Schöpfungsintelligenz« herstelle und dem Leben eines Menschen »Sinn und Richtung gibt«. So nimmt sich Meibom auch Deutschlands an. »Wir« müssten uns wahlweise »mit dem eigenen Schatten« oder dem der Vergangenheit »versöhnen« und uns »der eigenen Wirklichkeit stellen«, nämlich unseren deutschen »Schattenkräften und Gaben«. Am Ende soll eine »posttraumatische Reifung« stehen, von der nicht zuletzt auch ganz Europa profitieren soll, das Deutschlands Führung brauche.

Bemerkenswert ist nun nicht nur, dass dieser politikwissenschaftsferne Ansatz die Unterstützung Gesine Schwans findet, die im September Meiboms Buchpremiere mit durchführte. Die Konferenz zieht weitere SPD-Prominenz an. So soll die Bundestagsabgeordnete Eva Högl einen der Vorträge halten. Von Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments und SPD-Spitzenkandidat für dessen anstehende Neuwahl, liegt ein Grußwort vor, das online bereits eingesehen werden kann. Schwan ist für »nd« seit Wochen nicht zu sprechen. Högl reagierte auf eine Anfrage ebenfalls nicht.

Wer sich mit den Vorträgen und sonstigen Tätigkeiten der Leute beschäftigt, die zur Konferenz inhaltlich oder organisatorisch beitragen, stößt auf Begriffe wie Heilung, geistige wie kulturelle Evolution, integrales Bewusstsein, integrale Theorie, Erleuchtung, Anthroposophie und Zen. Im Angesicht dieses überraschenden Drangs zur Bewusstseinserweiterung der SPD könnte man auf die Idee kommen, in der SPD habe sich eine Strömung gebildet, etwa mit dem Namen »EsPD«, wobei »Es« die Abkürzung für »Esoterik« wäre. Doch offenbar ist die Esoterik kein Alleinstellungsmerkmal der Sozialdemokratie. Dem Konferenzbeirat gehört auch Barbara Unmüßig an, Co-Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, der Parteistiftung der Grünen.

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