Verblüffende Geräusche

Pianist Sebastian Schunke erneuert den Latin Jazz

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

Wo zeigt die Globalisierung schönere Folgen als in der Musik? Ein Beispiel dafür ist der Pianist Sebastian Schunke, der zeitgenössischen europäischen Jazz, lateinamerikanische Rhythmus-Raffinessen und die Gefühlsintensität des Blues miteinander verdrillt. Sogar in New York hat sich der geborene Göttinger einen Namen gemacht. Am Donnerstag stellte der 40-jährige Wahlberliner in der Waldo Bar sein neues Album »Genesis. Mystery and Magic« vor.

Schunke hat sein langjähriges Trio erweitert und eine hochkarätige Sextett-Besetzung um sich versammelt. Die Frontline besteht aus dem russischen, in New York lebenden Trompeter Alex Sipiagin und dem Posaunisten Nils Wogram. Die beiden spielen einmütig wie Zwillinge: In makellosem Einklang präsentieren sie die Themen; dann wieder umschlingen sich ihre Bläserstimmen in elegantem Kontrapunkt. Rasante Soli klingen geschmeidig wie ein durch die Hand gleitender Seidenschal. Beide Musiker sind weniger Verfechter eines heldenhaft strahlenden Klangs, sondern sie kosten die verhauchten, melancholisch eingetrübten Zwischentöne aus.

Die rhythmische Seele der Band ist der aus Uruguay stammende Berliner Schlagzeuger Diego Pinera. Er zeigt eine Bandbreite, die vom nervösen metallischen Ticken bis zu schwerfälligen, zwerchfellmassierenden Beats reicht. Die Rhythmusgruppe vervollständigen Perkussionist Robby Gerken, Marcel Krömker am Kontrabass und Schunke am Klavier. Die Musiker umhüllen die - oft hinkend ungeraden - Rhythmen mit fein gewebten oder dicht verzahnten Grooves. Zuweilen sorgt auch das Gegeneinander der Taktarten für unwiderstehlichen Drive.

Immer wieder vernimmt man verblüffende Geräusche. Mal muss man an Tierstimmen im Urwald denken, dann wieder wirkt das rhythmische Prasseln wie ein Regenschauer überm Schrottplatz. Angesichts derart fantasievoller Klangfarben mutet es merkwürdig an, dass Bandleader Schunke auch ein trockenes Jurastudium absolviert hat. Er ist sogar Autor von Urheberrechtsfachbüchern. Ein Jura-Praktikum hatte Sebastian Schunke überhaupt erst nach New York verschlagen. Dort fasste er in der Jazzszene Fuß, studierte an der Manhattan School of Music und nach seiner Rückkehr an der Musikhochschule in Berlin.

Im Laufe der Jahre ist Schunkes Musik immer eigenständiger geworden. Ihre Spannung bezieht sie aus dem Nebeneinander von energiegeladenen Rhythmen und modernen Melodien. Er wählt oft herbe Moll-Tonarten und minimalistisch karge Themen, die um wenige Töne kreiseln und in anderem Umfeld als Zwölftonmusik durchgehen könnten. Thelonius Monk ist unüberhörbares Vorbild.

Latin Jazz, der sinnlichen Drive, intellektuellen Anspruch und virtuoses Können so raffiniert verbindet, findet sich hierzulande so schnell nicht wieder. Davon kann man sich am Samstag im b-flat wieder überzeugen, wo die Band ihre kleine Tournee beendet.

www.sebastianschunke.com CD: »Genesis. Mystery and Magic« (nWog/edel) Konzert: 8. März, 22 Uhr, b-flat

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