Nicht perfekt, aber extrem praktisch

Wissenschaftler erforschen die anatomische und funktionale Komplexität des menschlichen Fußes

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.

Als ein Forscherteam um die britische Anthropologin Mary Leakey 1978 in Tansania auf rund 3,6 Millionen Jahre alte versteinerte Fußspuren stieß, die von mehreren aufrecht gehenden Vormenschen stammten, war das eine kleine wissenschaftliche Sensation. Denn lange bevor sich das Gehirn unserer Vorfahren vergrößerte, hatten deren Füße eine Form angenommen, die man durchaus als modern bezeichnen kann. »Sähe man einen dieser Abdrücke heute im Sand von Kalifornien«, sagte Leakeys Kollege Timothy White, »würde man sofort annehmen, dass hier ein Mensch gegangen sei.«

Das heißt, schon unsere frühen Vorfahren besaßen einen schmalen Fuß mit verlängerter Ferse, parallelen Zehen und einem Fußgewölbe, welches das Gewicht des Körpers beim Abrollen über der Außenkante und schließlich quer über den Fußballen abfederte. Die entscheidende evolutionäre Neuerung war jedoch die Großzehe, ohne die es den sich entwickelnden Menschen niemals möglich gewesen wäre, aufrecht zu gehen. Das zeigt ein Vergleich mit Schimpansen. Deren großer Zeh ist ähnlich wie der Daumen eines Menschen weit abgespreizt und ermöglicht so das Umklammern von Ästen. Gehen Schimpansen dagegen aufrecht, schwankt ihr Körper ständig hin und her.

Insgesamt besteht der menschliche Fuß aus 28 Knochen, die durch knapp 150 Muskeln, Sehnen und Bänder miteinander verspannt sind. Dieses komplexe System hält verstauchungsfrei einen Druck von fast drei Tonnen aus. »Das erklärt, warum Sportler und Tänzer so bewundernswerte Drehungen und Wendungen, Sätze und Sprünge in der Luft vollführen und danach sanft wie eine Feder landen können«, schreibt der US-Wissenschaftsautor Chip Walter.

Umso mehr erstaunt, wie unvollständig unsere Kenntnisse über die Funktion der menschlichen Fußmuskulatur sind. In Anatomielehrbüchern steht oft nur zu lesen, dass diese Muskeln der Beugung bzw. Spreizung der Zehen dienen. Dagegen werden die Bänder im Fuß als wichtigste Stütze des Fußgewölbes beschrieben, dessen Elastizität Menschen in die Lage versetzt, zu laufen und zu springen. »Drückt man das Gewölbe zusammen, wird seine Unterseite gedehnt. Dies führt zu einer Spannung in den Bändern, die so Energie speichern, um sie dann beim Abstoßen freizusetzen«, erklärt der Sportwissenschaftler Glen Lichtwark von der University of Queensland (Australien). Gemeinsam mit seinen Kollegen ist er dort der Frage nachgegangen, ob nicht auch die Fußmuskeln maßgeblich an der Stützung des Fußgewölbes beteiligt sind.

Zu diesem Zweck führten die Forscher ein einfaches Experiment durch. Sie befestigten am Oberschenkel ihrer sitzenden Versuchspersonen kurz hinter dem Knie ein Gewicht und maßen mit Hilfe von Nadelelektroden die Aktivierung der Sohlenmuskeln. »Nachdem ein bestimmtes Maß an Kraft auf den Fuß einwirkte, begannen diese Muskeln aktiv zu werden«, schreiben Lichtwark und seine Kollegen im Fachblatt »Journal of the Royal Society Interface« (doi: 10.1098/ rsif.2013.188). »Je mehr Gewicht wir anlegten, desto stärker sprachen diese Muskeln an.«

Dieser Effekt verhindert, dass der Fuß bei hoher Belastung platt auf den Boden gedrückt wird. Die Muskeln wirken wie eine parallele Stütze für die Bänder, fast wie ein Träger: »Sie versteifen den Fuß wirkungsvoll«, sagt Lichtwark, Das heißt, die Fußmuskulatur dient nicht nur der Bewegung der Zehen. Sie erfüllt vielfältige Aufgaben und verleiht als aktive, Kraft erzeugende Struktur dem menschlichen Fuß die Fähigkeit, wie eine große Feder zu wirken und enorme Lasten auszuhalten.

Lichtwark hofft, dass die neu gewonnenen Erkenntnisse bei der Gestaltung von Laufschuhen künftig ebenso berücksichtigt werden wie bei der Konstruktion effizienter Prothesen und Roboter. Vielleicht kann die systemische Sicht auf den Fuß auch helfen, die Vor- und Nachteile des Barfußlaufens besser zu verstehen, von dem man gemeinhin annimmt, dass es den Muskelaufbau im Fußinneren fördert. Ob das wirklich so ist, lässt Lichtwark offen: »Wir haben noch keine vergleichenden Tests zwischen beschuhten und barfüßigen Personen durchgeführt.«

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