nd-aktuell.de / 11.03.2014 / Kultur / Seite 17

Jaulende Gitarren

Compas und Mendez: der Sampler »Haiti Direct«

Knut Henkel

Haiti ist nicht gerade als Wiege der karibischen Beats bekannt. Doch in den 1960er und 1970er Jahren ging es auf der Insel hoch her, wie der neue Sampler »Haiti Direct« zeigt. Compas heißt der leicht schlurfende Rhythmus, der von Orgelkaskaden, jammernden Saxofonen und treibenden Percussions geprägt ist. »Bosso Combo« oder »Les Animateurs« hießen die Bands der ersten Stunde, die auf der Insel für den Groove sorgten und den heimischen Sound mit rauen E-Gitarren, Rockelementen und einem Schuss Psychedelic fusionierten. Ein Fan dieser Perlen aus Haiti ist Hugo Mendez. »Haitis Musik stand immer im Schatten von Kuba und Jamaika. Dabei hat sie viel mehr zu bieten«, so der DJ. Der lebt zwar in Paris, hat aber schon früh das Publikum in London bei den Sofrito Club Events für die Musik von der Insel begeistern können. So entstand schließlich auch die Idee, einen Sampler für das Sofrito Label, ein von Künstlern und DJs gegründeter kleiner Musikverlag, zusammenzustellen.

»Schließlich sind die Compas nicht nur in Haiti populär gewesen, sondern in der französisch-sprechenden Karibik und teilweise auch in Westafrika«, so Mendes. Natürlich auch beim Nachbarn in der Dominikanischen Republik, wohin »Les Diplomates« in den frühen 1970ern übersiedelten. Die Band änderte daraufhin ihren Namen in »Los Diplomaticos de Haiti« und nahm einen ganzen Strauß von Alben auf, wobei sie Compas mit der in der Dominikanischen Republik dominierenden Merengue kombinierte.

Der Vater des Compas heißt Nemour Jean Baptiste. Der Saxofonist und Bandleader hat den neuen Stil aus Merengue, haitianischem Folk, kubanischem Son und etwas Jazz destilliert. Der neue Stil feierte am 26. Juli 1955 bei einem Konzert sein Debüt und schlug ein. Fortan war Compas in Haiti en vogue und schwappte in den folgenden Jahren in die Nachbarländer. Ende der 60er Jahre wurden die Formate dann größer, gaben die Big Bands von Nemours Jean Baptiste und Webert Sicot den Ton an und räumten mit Hits wie »Ti Carole« und »Ambiance Cadence« ab und dominierten den Musikmarkt der Insel. Dabei fanden die jaulenden Gitarren und Schweineorgeln, die in der Pop- und Rockmusik der 1960er populär waren, auch den Weg auf die Insel und machten den Compas Beine.

Dann kam in den 1970er Jahren der Mini-Jazz-Sound auf und mit »Tabou Combo« setze eine Band aus Haiti auch international Soundmarken. Im New Yorker Central Park wurde die Combo genauso gefeiert wie bei ihrer Tour in Frankreich. Nicht gerade typisch für eine Band aus Haiti und genau deshalb sind die Musiker froh, dass sich jemand daran gemacht hat, das musikalische Erbe der Insel zusammenzutragen und wieder zugänglich zu machen. Dabei haben nicht nur Musiker der »Tabou Combo« mitgeholfen, sondern auch eine ganze Reihe weiterer Künstler und Produzenten.

Haiti Direct. Big Band, Mini- Jazz & Twoubadou Sounds 1960-1978, Strut Records/Alive