nd-aktuell.de / 12.03.2014 / Berlin / Seite 11

Bleiberecht gegen Abzug

Lösung am Oranienplatz in Sicht? Die Integrationssenatorin bietet den Flüchtlingen Duldung gegen Campaufgabe

Marina Mai
Seit Wochen verhandelt Integrationssenatorin Kolat (SPD) mit den am Kreuzberger Oranienplatz protestierenden Flüchtlingen. Einem internen Papier zufolge scheint sich ein Kompromiss anzubahnen, der unter Auflagen nicht nur den Flüchtlingen aus Berlin ein Stück entgegen kommt.

Für den Kreuzberger Oranienplatz deutet sich eine Lösung noch in diesem Monat an. »nd« liegt ein Papier mit einem Angebot vor, das Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) den Besetzern des Oranienplatzes letztes Wochenende vertraulich als Verhandlungsangebot unterbreitete.

Kolat bietet den Flüchtlingen ein kurzzeitiges Bleiberecht in Berlin an, wenn sie im Gegenzug den Oranienplatz räumen, Zelte und Hütten abbauen und dafür sorgen, dass sich dort keine neuen Bewohner ansiedeln. Wird das an mehreren Stellen schwammig formulierte Papier von allen Seiten akzeptiert, könnte der Konflikt um den Oranienplatz in wenigen Tagen oder Wochen friedlich gelöst werden.
Konkret heißt das: Für die Gruppe der politischen Protestierenden, deren Asylantrag in Bayern oder Hessen bearbeitet wird und die vor eineinhalb Jahren aus Protest gegen die deutsche Asylpolitik von Würzburg nach Berlin liefen, soll es eine »Umverteilung« nach Berlin geben. Sie sollen hier ihr Asylverfahren fortführen dürfen, dabei in normale Asylunterkünfte umziehen. Der Pferdefuß: Über so eine Umverteilung entscheidet nicht die Integrationssenatorin. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales müsste von der Landesregierung beauftragt werden, dazu mit den anderen Bundesländern zu verhandeln. Der Präsident des Landesamtes Franz Allert, der Sozialsenator Mario Czaja (CDU) untersteht, lehnt jedes Statement zum Oranienplatz ab. »Hier liegt die Federführung bei Frau Kolat.« Allert bestätigt lediglich anstehende Gespräche mit ihr.

Für die Gruppe der Lampedusa-Flüchtlinge, die also in Italien entweder Asyl bekommen haben oder sich dort noch im Asylverfahren befinden, bietet Kolat dem Papier zufolge eine bis zu sechsmonatige Duldung an mit vager Aussicht auf Verlängerung sowie einen Deutschkurs. Wer bereits Asyl in Italien bekommen hat, aber dort obdachlos ausgesetzt wurde, würde damit seinen Asylstatus in der Regel nicht verlieren. Das heißt, im schlimmsten Fall riskiert man, wenn in sechs Monaten die Duldung ausläuft, eine Rückschiebung nach Italien und dortige Obdachlosigkeit, nicht aber nach Nigeria oder Eritrea. Die Männer und Frauen aus Afrika dürfen dann in Deutschland Sozialleistungen beziehen, nicht aber arbeiten, was sie eigentlich wollen. Viele von ihnen haben mehrere Jahre in Libyen als Ölarbeiter oder Ingenieure gearbeitet und wollen dringend wieder arbeiten.

Wenn allerdings das Asylverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen ist, würde das mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der deutschen Duldung beendet werden. Ein neues Asylverfahren in Deutschland wäre rechtlich schwierig bis unmöglich. Aber auch hier gibt es einen Haken: Eine Duldung erteilt die Ausländerbehörde und die untersteht Innensenator Frank Henkel (CDU) und nicht Kolat. Henkels Sprecher Stefan Sukale verneint feste Absprachen. »Es laufen noch Gespräche.« Auch Dilek Kolats Sprecher Mathias Gille sagt: »Es gibt noch kein abgestimmtes Papier. Wir sind noch in Verhandlungen.«
Bereits am Sonntag warben auf dem Oranienplatz Flüchtlinge, die der Verhandlungsdelegation angehören, ihre Mitstreiter, sich in Namenslisten einzutragen. Wer das nicht täte und seine Identität nicht preis gäbe, so hieß es, solle nicht von dem Verhandlungsergebnis profitieren können. Es gab jedoch auch viel Skepsis und Beratungsbedarf mit Anwälten. Könnte so eine Namensliste nicht auch Voraussetzung für eine Abschiebung sein? Ist nicht möglicherweise ein Asylverfahren in Italien doch mehr wert als eine Duldung in Deutschland, selbst, wenn man dort obdachlos wird?

Ein Erfolg kann das Angebot der Integrationssenatorin nur werden, wenn alle Verwaltungen und alle Oranienplatzbewohner mitziehen. Und Kolat steht unter dem Druck, nach wochenlangen Verhandlungen hinter verschlossener Tür Ergebnisse präsentieren zu müssen.

Die grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, hatte allerdings gegenüber der Berliner Morgenpost schon deutlich gemacht, »dass es für die Flüchtlinge und Unterstützer schwierig werde, wenn sie alles ablehnten, was der Senat vorschlage«. Sie habe »den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit so verstanden, dass er dann auch eine Räumung des Oranienplatzes mit Hilfe der Polizei nicht ausschließt«.