Die Welt aus der Sicht von Hunden, Schweinen und Dinosauriern

Projektreihe zu Mensch-Tier-Verhältnissen in der Galerie Meinblau

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Menschen und Tiere gehen vielfältige Beziehungen ein. Gewöhnlich werden diese Beziehungen allerdings aus der Sicht des Menschen definiert. Tiere sind demnach Haus- oder Nutztiere. Und selbst als Wildtiere sind sie potenzielle Ressourcen für Köche und Kürschner und bestenfalls Anschauungsobjekte in der Spektakelindustrie der Safaris. So ziemlich jedes Tier, das nicht verwertbar ist, wird der Kategorie der Schädlinge zugeordnet. Die verhältnismäßig junge Wissenschaftsdisziplin der Human-Animal-Studies will mit diesen anthropozentristischen Sichtweisen aufräumen. Auch Künstler interessieren sich mehr und mehr für einen veränderten Blick auf die Tiere.

Die Künstlerin und Zoo-Architektur-Forscherin Anne Hölck führt in der Projektreihe »we, animals« künstlerische und wissenschaftliche Ansätze zusammen. In der Eröffnungsausstellung werden Publikationen des Berliner Arbeitskreises für Human-Animal Studies Chimaira gemeinsam mit drei künstlerischen Positionen präsentiert.

Letztere schlagen ganz unterschiedliche Schneisen ins Mensch-Tier-Territorium. Ganz nahe an die Sichtweise von Hunden gelangt der japanische Künstler Nobuhira Narumi. Seit den 90er Jahren montiert er Hunden leichtgewichtige Kameras auf den Kopf und verfolgt so die Wege, die sie gehen. Ein Kamerahund ist als Hütehund tätig. Wollige Schafe, die wild durch die Luft springen und vor dem Auge des Betrachters zurückweichen, sind daher zu sehen. Ein Hund, der einen Obdachlosen begleitet, fängt mit seinem Blick vor allem den Dreck der Straße ein, während ein »bürgerlicher Hund«, also der Begleiter eines besser situierten Herrchens, an Plüschhunden und Regalen voller Hundefutter vorbeigeführt wird. Narumi konstatiert, dass sein Langzeitprojekt mehr über die Hundehalter als über die Hunde selbst aussagt. Die für die menschliche Wahrnehmung eher heftigen Blickverlagerungen weisen daraufhin, dass Hunde sehr vielfältigen Reizen, eben Geruchsreizen, ausgesetzt sind, und daher schnell mit den Augen überprüfen wollen, was die Nase längst erschnuppert hat.

Den Verwertungsmechanismus, dem Tiere sogar schon im Kunstbetrieb unterworfen sind, legt der Film »Art Farm Revisited« offen. Einer der Filmemacher, Cheto Castellano, war von dem belgischen Künstler Wim Derlvoye als Tätowierer angeheuert worden, um Schweine auf einer sogenannten Art Farm in China zu tätowieren. Castellano stieg nach einiger Zeit jedoch frustriert aus dem Projekt aus, weil Delvoye Versprechen wie Narkose der Schweine beim Tätowieren und tierärztliche Betreuung nicht eingehalten hatte. Vor Schmerz schreiende Ferkel unter der Tätowierernadel sind im Film zu sehen - und ein stolzer Künstler, der vom Verkauf der bemalten Häute der getöteten Tiere auf Kunstauktionen berichtet.

Von der digitalen Tierschöpfung hingegen erzählt Anna Zetts Filmessay »Dinosaur Gif«. Die ausgestorbenen Großtiere sind Zett zufolge in den amerikanischen Filmstudios entstanden und von dort in den Bild- und Assoziationsapparat der Menschen gewandert. Sie zeigt Ausschnitte von den ersten Saurierfilmen aus dem Jahre 1914 über den epochemachenden Spielberg-Film »Jurassic Park« bis hin zum aktuellen »Walking with Dinosaurs«. Dabei werden die narrativen Grundmuster vom Ausbrechen der Tiere aus einer kontrollierten Situation, dem Zerstörungsfuror der »befreiten« Urzeitnatur gegenüber der modernen Kultur und den Assoziationsmechanismen, mit denen menschliche Betrachter den animierten Tieren menschliche Verhaltensweisen und Charakterzüge zuschreiben, deutlich gemacht.

Im Mai wird die Projektreihe mit einer Performance von Camilla Graff Junior zu einem Schlüsseltext des Mensch-Tier-Verhältnisses von Jacques Derrida fortgesetzt. Derrida beschrieb die Scham, die er empfand, als er gewahr wurde, dass er nackt vor seiner Katze stand. Im August werden Zukunftsszenarien zum Zusammenleben von Menschen und Tieren im Rahmen des vegan-vegetarischen Sommerfests vorgestellt, während es im September um Tierbiografien geht. Die Aufmerksamkeit gilt dabei unter anderem dem »Klugen Hans«, einem Pferd, das angeblich rechnen konnte - und dessen Besitzer und »Mathematiklehrer« Wilhelm von Osten unweit der Galerie in der Griebenowstraße 10 wohnte.

Die Projektreihe öffnet den Zugang zu einem faszinierenden Thema, das in der einen oder anderen Form prägend für den menschlichen Alltag ist - Heim- und Haustiere etwa -, in jüngerer Zeit Gegenstand politischer Kämpfe wurde - Tierbefreiungsbewegung -, aber auch in Wissenschaft und Kunst an Aufmerksamkeit gewinnt und letztlich im Zusammenhang mit technischer Entwicklung und Cyborg-Szenarien immense Zukunftspotenziale (und Schreckensszenarien) in sich birgt. »we, animals« bieten einen multiperspektivischen Zugang zum Thema.

Galerie Meinblau, bis 16.3., Do-So 14-19 Uhr, Christinenstr. 18/19, Mitte

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