»Eine große Koalition ist der Anfang von Gleichgültigkeit«

Der Kabarettist Serdar Somuncu über das Ende seiner Rolle als »Hassprediger«, sein Hip-Hop-Projekt, Thomas Bernhard und Angela Merkel

  • Lesedauer: 5 Min.
Serdar Somuncu wurde Mitte der 1990er Jahre mit seiner szenischen Lesung »Nachlass eines Massenmörders« einem größeren Publikum bekannt. In diesem Programm trug er ausgewählte Textstellen aus Hitlers »Mein Kampf« vor. Das Stück wurde annähernd 1500 Mal aufgeführt und mehr als einmal von Neonazis gestört. Noch bis zum 1. April tourt Somoncu mit seinem Programm »Der Hassprediger« durch Deutschland. Mit dem Künstler sprach Jakob Buhre.

nd: Sie haben vor Ihrer Kabarett-Karriere viel Theater gespielt. Zum Beispiel den »Theatermacher« von Thomas Bernhard.
Somuncu: Das ist lange her. Den »Theatermacher« habe ich in Neuss und auf Tour in kleineren Städten gespielt. Ehrlich gesagt war das der Anfang meiner »Hassprediger«-Rolle, der Theatermacher, der »Staatsschauspieler Bruscon« ist dafür eigentlich die Blaupause, die Bernhardsche Attitüde steckt im Hassprediger drin. Bestimmte Dinge so überspitzt auszusprechen, dezidiert auf den Punkt zu bringen, das ist von Thomas Bernhard maßgeblich beeinflusst. Mich hat auch »Bekenntnisse eines heimlichen Nudisten« von Ken Campbell beeinflusst, von dort kommt bei mir das Improvisationselement und die Vermischung von fiktiven und ehrlichen Geschichten, wo der Zuschauer irgendwann nicht mehr weiß: Ist das jetzt ernst gemeint oder nicht?

Würden Sie diese Stücke heute noch spielen?
Ja, weil ich Schauspieler bin und gerne spiele. Allerdings nicht mit der mangelnden Perspektive von damals, das war schon auch eine Tortur, weil ich immer um meine Existenz und um Anerkennung kämpfen musste. Ich bin heute sehr froh, dass der Leidensdruck weniger geworden ist.

Wer Ihre Theatervorgeschichte kennt, wird über Ihr jüngstes HipHop-Album (Zwieback & T: »Wir beide«) irritiert sein. Wie verbindet sich Hip-Hop mit Ihrem übrigen künstlerischen Schaffen?
Muss es denn eine Verbindung geben? Kann es nicht nebeneinander stehen? Für mich gibt es kein kein Paradigma des Verbundenseins. Sondern als Künstler versuche ich seit jeher, alle Facetten zu nutzen, die mir zur Verfügung stehen.

Ist eine Hip-Hop-Platte für Sie ein Kunstprojekt?
Ja. HipHop ist nicht meine Heimat, sondern definitiv Fremdland. Aber es gibt ja kein Dogma, so ein Projekt muss keinem konkreten Plan folgen. Wahrscheinlich würde es die Fragesteller mehr befriedigen, wenn sie unterstellen können, dass der Künstler ein programmatischer Künstler ist. Dass er sich nicht einfach hinstellt und sagt: Heute bin ich lustig, morgen bin ich ernst. Doch das sehe ich anders, als Künstler repräsentiert dich der Moment und nicht die Ewigkeit.

Im Moment sind Sie noch als »Hassprediger« auf Tour. Diese Rolle hat Ihnen ein Image als Radikal-Kabarettist eingebracht. Entstand dadurch irgendwann ein Automatismus, dass Sie diesem Image gerecht werden mussten?
Erschreckender Weise, ja. Man weiß als unbedarfter Neuling ja nicht, was auf einen zukommt, wenn man bekannt wird. Ich war eben, als ich damit angefangen habe, an einem Tag so drauf, dass ich Hasstiraden in die Kamera gesprochen habe - und dann haben das Leute mitbekommen und für sich konserviert. Weil es etwas für sie bedeutet, es repräsentiert etwas, was sie selbst nicht können, aber gerne können würden.

Der Automatismus, dass man Opfer des eigenen Images wird - haben damit heutzutage auch Politiker zu kämpfen?
Ja, das habe ich während des letzten Wahlkampfs tatsächlich gedacht. Ich habe mich bei Steinbrück gefragt: Warum ordnen sich Menschen, die für Meinungsfreiheit kämpfen und Demokraten sein wollen, einer Parteiräson unter? Warum konnte Steinbrück nicht zugeben, dass er damals als Finanzminister der Großen Koalition maßgeblich beteiligt war an den Dingen, die man heute nur Angela Merkel als Fehler zuschreibt? Das wäre doch menschlich groß gewesen. Aber in der Politik ist unheimlich viel Parteiräson. Deshalb würde ich persönlich auch nie in die Politik gehen.

Nun haben wir statt Steinbrück eine Große Koalition bekommen.
Eine große Koalition ist für mich der Anfang von Gleichgültigkeit, ein Abfinden damit, dass die große Mehrheit sich repräsentiert fühlt. Ich glaube, wir leben tatsächlich in einer Zeit des Konsens, in der wir uns gut repräsentiert fühlen durch eine mittelalte Frau, die aussieht wie eine Mutter und es schon irgendwie richten wird. Das sagt Angela Merkel ja immer: »Wir werden uns darum kümmern.« Sie sagt nicht, was die Ursache ist, wie das Problem entstanden ist, sondern es heißt: »Ja, das ist uns bewusst, und «wir werden uns darum kümmern». Das ist sehr mütterlich. Und es ist verständlich, dass eine orientierungslose Gesellschaft sich danach sehnt, wohlbehütet zu sein.

Sie fühlen sich von der «Mutter» Merkel nicht behütet.
Nein, da fühle ich mich eher unwohl. Ich könnte nicht sagen, dass Deutschland ein Land ist, in dem es ausschließlich gerecht zugeht, bloß weil wir eine Kanzlerin haben, die so tut als sei alles in Butter.

Im vergangenen Jahr wurden in Großbritannien Protokolle veröffentlicht, die belegen, dass Helmut Kohl in den 1980er Jahren die Zahl der in Deutschland lebenden Türken deutlich reduzieren wollte, sie zurück in die frühere Heimat schicken wollte...
Ja, das ist immer mein Reden gewesen - aber mir hört ja keiner zu. Ich habe immer gesagt: Die CDU ist eine Anti-Türken-Partei. Ich habe es ja selbst erlebt. Ende der 1980er Jahre haben türkische Gastarbeiter Abfindungen angeboten bekommen, um die 10 000 D-Mark, damit sie nach Hause gehen. Kohl hat das offen gesagt. Die CDU sagt seit Jahren, dass die Türkei nicht EU-Mitglied werden soll.

Macht Sie diese Haltung von Kohl und der CDU betroffen?
Ja. Mich betrifft es, weil ich zu dieser Generation gehöre und weil ich weiß, wie zerrissen diese Menschen der zweiten und dritten Gastarbeiter-Generation in Deutschland immer noch sind. Es ist doch auch paradox, dass auf der einen Seite sich die Welt immer mehr globalisiert und wir keine Grenzen im Kopf und nicht in den Fingern haben, wenn wir auf die Tasten tippen, auf der anderen Seite aber doch vollkommen rückwärtsgewandt denken, wenn es um Nationalitäten geht. Dabei geht es nicht darum, wo jemand herkommt, sondern es zählt einzig und allein, was er in die Gesellschaft einbringt. Man vergisst, dass viele Menschen, die von woanders herkommen, auch viel Gutes mitbringen.

Unter seinem Künstlernamen Onkel Zwieback ist er auch als Musiker aktiv.
Geboren wurde Serdar Somunco 1968 in Istanbul. In Maastricht und Wuppertal studierte er Musik, Schauspiel und Regie.

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