nd-aktuell.de / 18.03.2014 / Berlin / Seite 12

Ein Koloss wird 80 Jahre alt

Das alte Schiffshebewerk Niederfinow ist ein gut funktionierendes technisches Denkmal

Tomas Morgenstern
Neben dem Schiffshebewerk Niederfinow entsteht ein moderner Nachfolgebau - ausgedient hat es aber längst noch nicht.

Am nördlichen Rand des Oderbruchs wird am 21. März ein rüstiges Industriedenkmal 80 Jahre alt. Und noch immer ist das Schiffshebewerk Niederfinow nahe Eberswalde (Barnim) unverzichtbar für die Binnenschifffahrt und insbesondere für den Gütertransport zwischen der Havel, Berlin und der Oder. Der angeblich von vielen Besuchern sogenannte »Schiffsfahrstuhl« ist das älteste von derzeit vier von der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes betriebenen Hebewerken in Deutschland. Und er ist eines der populärsten Tourismusziele Brandenburgs.

Dass sein Jubiläum kaum beachtet wird, liegt daran, dass sich das zuständige Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Eberswalde auf ein weiteres rundes Jubiläum in diesem Sommer vorbereitet: Vor 100 Jahren wurde die Havel-Oder-Wasserstraße eingeweiht, die über 149 Kilometer von Berlin-Spandau und Mescherin an der polnischen Grenze führt.

In Angriff genommen worden war sie 1906 als »Großschiffahrtsweg Berlin-Stettin«. Als Kaiser Wilhelm II. am 17. Juni 1914 zur pompösen Einweihung schritt, verlieh er dem Bauwerk den Namen »Hohenzollernkanal«, den es erst nach 1945 wieder los wurde. »An all das wird eine Festschrift erinnern, die bald fertig ist und die man dann auch im Besucherzentrum des Schiffshebewerkes kaufen kann«, sagte der Leiter des Amtes, Hans-Jürgen Heymann dem »neuen deutschland«. Um möglichst viele Technikfreaks und Schaulustige zu erreichen, habe man sich dazu entschlossen, beide Jubiläen gemeinsam am 21. Juni mit einem Tag der offenen Tür zu feiern.

Dass das alte Schiffshebewerk ein wenig ins Hintertreffen gerät, liegt auch an dem imposanten Neubau in seiner Nachbarschaft. Nur wenige hundert Meter entfernt erwächst dem aus genieteten Stahlträgern zusammengefügten Giganten aus den 1930er-Jahren ein moderner Nachfolger aus Stahl und Beton, der den betagten Veteranen buchstäblich in den Schatten stellt. Nur mit dessen altertümlichem Charme kann er nicht konkurrieren. Stolz erhebt sich die mächtige Stahlkonstruktion über dem Urstromtal, von oben aus bietet sich dem Besucher ein atemberaubender Blick über den Barnim und das Oderbruch bis weit nach Polen hinein.

Allein die Ausmaße des Schiffshebewerks muten gewaltig an: 60 Meter in der Höhe, 94 Meter in der Länge und 27 Meter in der Breite misst der Gigant. Allein die Stahlträger samt den rund fünf Millionen Nieten, die sie zusammenhalten, wiegen 14 000 Tonnen. Im Trog schwimmend überwinden Schiffe binnen fünf Minuten den Höhenunterschied von 36 Metern am Geländesprung zwischen Niederfinow und Liepe, der bis 1934 ausschließlich über eine vierstufige Schleusentreppe erfolgte. Dieser 85 Meter lange und zwölf Meter breite Stahltrog fasst 4290 Tonnen Wasser. Und doch ist dieser Trog mittlerweile zu klein - deshalb sind die Tage des Hebewerkes gezählt.

Das in der Verantwortung des Wasserstraßen-Neubauamtes seit 2008 erbaute Schiffshebewerk Niederfinow Nord wird um einiges größer. Der für 115 Meter Nutzlänge, 12,5 Meter Breite und eine Wassertiefe von vier Metern ausgelegte Trog lässt die Passage von Großmotorgüterschiffen und von kompletten, in den neuen Bundesländern viel genutzten 114 Meter langen Verbänden aus Schubschiff und drei Leichtern zu. Bis es aber soweit ist, wird noch einiges Wasser von der Havel in die Oder fließen. Denn der Neubau ist - wie übrigens auch der Ausbau der Havel-Oder-Wasserstraße - in Zeitverzug geraten. WSA-Leiter Heymann sagt: »Nach heutigem Stand soll das neue Schiffshebewerk 2016 fertig werden.« Und auch danach sollen beide »Fahrstühle« noch einige Jahre parallel in Betrieb bleiben, bis der Neubau alle Kinderkrankheiten überwunden hat. Doch am Ende wird man den verdienten Veteranen, den schon in seinen ersten 60 Jahren 127 Millionen Tonnen Güter passierten, stilllegen müssen. »Er ist zu teuer und zu personalaufwendig«, sagt Heymann. »Vier bis fünf Leute werden pro Schicht für seinen Betrieb gebraucht, das neue Werk wird man mit einem fahren. Ständig ist ein Maschinist auf Achse, um irgendwo etwas zu schmieren.« Zudem gebe es keine Ersatzteile mehr, und auch das Potenzial der in den 1920er- und 1930er-Jahren konzipierten Elektrik sei ausgeschöpft. Ein beliebtes Ausflugsziel, da ist Heymann sicher, wird Niederfinow für immer bleiben.