nd-aktuell.de / 19.03.2014 / Politik / Seite 18

Werbung nimmt Studenten Licht

Polnische Initiative will Reklamewildwuchs eindämmen

Jens Mattern, Warschau
Eine polnische Initiative mit dem Namen »Meine Stadt und in ihr« kämpft gegen den Werbewildwuchs in Städten. Dafür ist sie jetzt in Berlin ausgezeichnet worden.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hat am Dienstag den Preis der Akademie der Künste in Berlin für die Kategorie »Architektur« an die polnische Vereinigung »Meine Stadt und in ihr« (»Miasto Moje A w Nim«) übergeben. Das ist ungewöhnlich. Denn normalerweise wird der Preis an inländische Projekte vergeben. Zudem sind die Mitglieder des Preises keine Architekten, sondern protestierende polnische Staatsbürger aller möglichen Berufe.

Doch die Empfänger haben einen Bezug zur Preiskategorie: »Wir wollen Architektur als solche wieder sichtbar machen«, so die Vereinsvorsitzende Aleksandra Stepien bei einem Treffen in der vergangenen Woche im Zentrum von Warschau. Wer sich dort umschaut, versteht das Anliegen. Ganze Hochhäuser sind mit so genannten »Riesenpostern« verdeckt, jeder auch nur erdenkliche Raum wird hier für Werbung genutzt.

So bewirbt der über zwanzig Stockwerke hohe Bau der Technischen Universität in Warschau auf zwei Gebäudeseiten die neue Seifenoper des Privatsenders Polsat. Dass die Werbung die Unterrichtsräume für Dozenten und Studenten verdunkelt, ist zweitrangig. Zudem flimmern allerorten riesige Bildschirme, auf Grünflächen am Straßenrand sehen Verkehrsteilnehmer einen Wald so genannter Billboards (großflächige Plakate). Buspassagiere, deren Fenster durch einen Werbekleber verklebt worden sind, sehen dagegen nichts. Auch auf dem Lande und vor allem in touristischen Zentren regiert der Reklamewildwuchs.

Im polnischen Sozialismus gab es keine Werbung, von ein paar heute kultigen Neonschriften einmal abgesehen. Doch nach der Wende löste das Dogma vom Privateigentum das Dogma des Kollektivs ab, beschwingt von der polnischen Freiheitsliebe, die allergisch auf Verbote und Reglements reagiert. Vielleicht ist diese auch mitverantwortlich dafür, dass das Aufstellen nicht genehmigter Werbeflächen kaum geahndet wird.

Die Initiative »Meine Stadt und in ihr« - der Name ist an einen alten Warschauer Schlager angelehnt - kämpft seit 2007 gegen das Zuviel an Reklame im Stadtraum. Der Anfang war schwer. Nur wenige störten sich an dem bunten Allerlei, nach Umfragen von 2010 waren es gerade einmal sechs Prozent. »Ich ignoriere das einfach«, meinen vor allem die älteren Warschauer. Doch die bunten Flächen nehmen immer weiter überhand, 2013 kamen allein in Warschau 1000 weitere Billboards hinzu.

»Die Werbebotschaft wird unleserlich in diesem Chaos, wir sind nicht per se gegen Werbung«, meint die junge Kunsthistorikerin Aleksandra Stepien, die derzeit zusammen mit 40 Mitstreitern polenweit Aktionen startet. Die richtet sich beispielsweise an die Politik. Sämtliche polnische Parlamentarier bekamen Postkarten mit besonders hässlichen Aufnahmen, über Facebook wurde die schlimmste Werbeverschandelung gekürt.

Einen ersten Erfolg gibt es: Derzeit wird mit der Stadt Warschau ein Konzept ausgearbeitet, mit dem die Außenwerbung eingeschränkt werden kann.

»Die Frage, wem gehört der Stadtraum, wird auch in Deutschland immer wichtiger, die Initiative verweist auf einen Missbrauch der Urbanität, der global ist«, so Arnold Bartetzky, Kunsthistoriker und Mitglied der Jury der Akademie der Künste am Dienstag in Berlin.