nd-aktuell.de / 20.03.2014 / Politik / Seite 5

Reif für direkte Demokratie

Linksfraktion will Debatte über Volksentscheide auf Bundesebene anstoßen

Aert van Riel
In den Bundesländern können Bürger durch Volksentscheide Einfluss auf die Politik nehmen. Die LINKE fordert nun auch auf Bundesebene direkte Mitbestimmung.

Die Linksfraktion unternimmt einen neuen Anlauf für mehr direkte Demokratie in Deutschland. In einem Gesetzentwurf, der »neues deutschland« vorliegt, wird die Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung in das Grundgesetz gefordert. Diese drei Schritte sind die Volksinitiative, das Volksbegehren und der Volksentscheid.

Als Begründung für ihren Vorstoß führt die Fraktion an, dass Wahlen allein keine Chance bieten würden, »nachhaltig und stetig die Politik mitzubestimmen«. Weite Teile der Bevölkerung könnten Arbeit und Funktionsweise der Organe der repräsentativen Demokratie auf Bundesebene weder nachvollziehen noch wirksam beeinflussen. Die LINKE-Abgeordnete Halina Wawzyniak sagte dem »nd«, sie sehe die direkte Demokratie als eine gute Ergänzung der parlamentarischen Demokratie. »Der Souverän ist die Bevölkerung. Dies sollte sich auch dadurch widerspiegeln, dass sie neben der Möglichkeit zu wählen auch direkt Entscheidungen treffen kann«, so Wawzyniak.

Als Vorbild für eine stärkere Beteiligung der Bürger im Bund sieht die LINKE die Ebene der Bundesländer. Ein Erfolg für linke Aktivisten war sicherlich die Abstimmung über die Offenlegung der umstrittenen Wasserverträge Anfang 2011 in Berlin. Allerdings gab es in der jüngeren Vergangenheit auch Beispiele für Volksentscheide, bei denen Rechte triumphierten. So stimmten etwa die Schweizer vor wenigen Wochen mehrheitlich für die Begrenzung des Zuzugs von Ausländern. Wawzyniak räumte ein, dass die Gefahr, dass sich in Volksentscheiden rechte Populisten durchsetzen könnten, natürlich bestehe. »Aber wie die de facto Abschaffung des Asylrechts von 1993 zeigt, ist die Anfälligkeit für Populismus kein Alleinstellungsmerkmal von Volksentscheiden«, erklärte sie. Der Vorteil bei einer Volksabstimmung sei, dass über längere Zeit pro und kontra abgewogen werden könnten. »Mit der Offenlegungspflicht für Unterstützung von Volksentscheiden kann sich jeder ein Bild über die Interessen bei der Abstimmung machen«, sagte Wawzyniak.

Erster Schritt der Gesetzgebung durch die Bürger ist nach dem Willen der LINKEN die Volksinitiative. Laut Gesetzentwurf sollen mindestens 100 000 Wahlberechtigte Gesetzesvorlagen in den Bundestag einbringen können. Das Wahlalter will die LINKE auf 16 Jahre senken. Wahlberechtigte wären demnach außerdem Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die seit fünf Jahren in der Bundesrepublik gemeldet sind.

Wenn die Volksinitiative im Bundestag scheitern würde, hätten deren Vertrauensleute das Recht, ein Volksbegehren einzuleiten. Dem Volksbegehren müssten dann innerhalb von neun Monaten mindestens eine Million Wahlberechtigte zustimmen. Bei einer angestrebten Änderung des Grundgesetzes wäre die Zustimmung von zwei Millionen Bürgern erforderlich. Sollte sich der Bundestag nach einem erfolgreichen Referendum auch sträuben, das Volksbegehren umzusetzen, dann könnte es zum Volksentscheid kommen. Wenn eine Mehrheit dann zustimmen würde, wäre die Gesetzesvorlage durch Volksentscheid beschlossen. Ein das Grundgesetz änderndes Gesetz bedürfte der Zustimmung von mindestens zwei Dritteln der Wählerstimmen.

Zudem fordert die Linkspartei, dass im Grundgesetz festgeschrieben wird, dass die Zustimmung Deutschlands zu Änderungen der EU-Verträge, durch die auch das Grundgesetz geändert werden würde, der Annahme durch eine Volksabstimmung bedarf. Die Änderung der EU-Verträge war in den letzten Monaten im Zuge der europäischen Krisenpolitik immer wieder debattiert worden.

Anträge der Linksfraktion werden zwar in der Regel abgelehnt, können aber politische Diskussionen anstoßen. In der Großen Koalition ist die direkte Demokratie umstritten. Im Herbst 2013 hatten der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Thomas Oppermann, inzwischen SPD-Fraktionschef, ein Positionspapier vorgelegt, in dem sie unter bestimmten Umständen Volksentscheide über Bundesgesetze vorschlugen. Im Koalitionsvertrag wurden mögliche Volksentscheide dann nicht mehr berücksichtigt.