nd-aktuell.de / 21.03.2014 / Sport / Seite 18

Lücken in den schwarz-gelben Reihen

Nach dem 1:2 gegen St. Petersburg in der Champions League spürt Borussia Dortmund die Last alter Erfolge

Frank Hellmann, Dortmund
Bei Borussia Dortmund kommt nach dem Erreichen des Viertelfinals der Champions League eine merkwürdige Missstimmung auf, weil Vorstand, Trainer und Spieler den Erfolg nicht genug gewürdigt sehen.

Im hinteren, abgedunkelten Bereich des »Borusseum«, dem Vereinsmuseum von Borussia Dortmund, läuft ein Video in Endlosschleife. Es handelt von den international bemerkenswertesten Auftritten dieses Traditionsvereins: Die Besucher bestaunen die unscharfen Schwarz-Weiß-Szenen aus dem Mai 1966 - Stan Libuda schießt im Glasgower Hampden Park den BVB zum Sieg im Europapokal der Pokalsieger. Sie sehen die Sequenzen aus dem Mai 1997 im Münchner Olympiastadion - Lars Ricken reckt den Henkelpott in die Höhe. Und sie genießen die noch präsenten Bilder aus dem Mai 2013 im Londoner Wembleystadion als sich ein aufgereihtes Ensemble vor einer schwarz-gelben Wand verneigt.

An diesem milden Mittwochabend im März 2014, hat die Realität im Stadion ein bisschen anders ausgesehen. Auf beiden Seiten - auf der Dortmunder Südtribüne und im BVB-Kader - klafften unübersehbare Lücken bei der obligatorischen Danksagung nach dem Achtelfinale in der Champions League gegen Zenit St. Petersburg. Eine mäßig unterhaltsame Partie, die zwar ausreichte, um wieder zu den acht Größten in Europas Geldadel zu gehören, aber trotzdem die Freude arg dämpfte, wie Trainer Jürgen Klopp bemerkte: »Ein großartiger Erfolg versteckt sich hinter der 1:2-Niederlage.«

Mit Roman Weidenfeller und Mats Hummels hetzten zwei von Klopps Korsettstangen sofort in die Kabine, und Kapitän Sebastian Kehl erklärte dann mit spitzer Zunge, warum: »Normalerweise sollten Heimspiele nicht das Gefühl vermitteln, dass man ein Verbrechen begangen hat. Alle müssten eigentlich froh und glücklich sein - wer das nicht ist, dem ist nicht zu helfen.« Mittelfeldmann Nurin Sahin empfand das »Stöhnen« von den Rängen als störend. Mitspieler Kevin Großkreutz verstieg sich gar zur Empfehlung: »Wer uns nicht unterstützt, soll wegbleiben.« Was bitte ist los, wenn sogar echte Identifikationsfiguren den Schulterschluss mit ihrer treuen Gefolgschaft auflösen? Klopp bemühte eine Mixtur aus Galgenhumor und Selbstironie, um den Ist-Zustand zu charakterisieren: »Die Crème de la Crème des europäischen Fußballs und wir - leider geil.«

Gleichwohl: Vorfreude aufs Viertelfinale geht anders. Die Wahrnehmungen driften auseinander. Außenstehende der Marke BVB bemängeln zu viele uninspirierte, ideenlose Auftritte, die mit Vollgasfußball nur noch wenig gemein haben. Überspielte oder halbgesunde Akteure können vielleicht im Ligaalltag am Samstag in Hannover reüssieren, werden aber bestimmt nicht gegen Barcelona oder Bayern triumphieren. Im Innenleben der Schwarz-Gelben gelten derlei Vorhaltungen als verpönt, weil die Erwartungen zu hoch geschraubt und die Erfolge (Bundesliga-Zweiter, DFB-Pokalhalbfinalist, Champions-League-Viertelfinalist) zu gering geschätzt würden.

Wo ist dieser Klub denn aktuell verortet? Allein die Frage verärgerte Klopp. »Wer glaubt, dass wir in der Königsklasse einfach durchrauschen, soll bitte ein anderes Spiel schauen.« Zur Unzeit handelte sich nun auch noch der bald für den FC Bayern stürmende Robert Lewandowski wegen angeblichen Handspiels eine Sperre fürs erste Viertelfinale ein, verletzte sich mit Marcel Schmelzer bei einem Zweikampf mit St. Petersburgs Kraftpaket Hulk der nächste Spieler und droht auszufallen.

Solche Ausfälle lächeln sie in München locker weg, in Dortmund gehen die Mundwinkel runter. Aber für Klubboss Hans-Joachim Watzke und Klopp kommt nicht infrage, »22, 23 Spieler auf internationalem Topniveau« zu beschäftigen, weil dann die wirtschaftliche Vernunft gefährdet sei. Selbst wenn der BVB mittlerweile zu den zehn umsatzstärksten Klubs im europäischen Fußball gehört, betont Watzke vor der heutigen Auslosung in Nyon: »Es herrscht keine Waffengleichheit mehr. Wir sind der totale Außenseiter.«

Da ahnt einer, dass vielleicht schon Anfang April das Stoppschild in einem Wettbewerb auftaucht, der immer mehr zum finanziellen Wettrüsten verkommt. Dafür schleppt sein Verein keine Millionenschulden mehr mit sich herum, bekommt kein Geld von einem russischen Oligarchen, amerikanischen Besitzer oder arabischen Scheich. Und doch sind bei den demnächst ausgewiesenen 99 Millionen Euro Personaletat noch solche Puffer drin, um neben dem schon verpflichteten Augsburger Dong-Won Ji auch den Berliner Adrian Ramos und den Freiburger Matthias Ginter abzulösen und anzustellen. Ob solche Profis dafür taugen, Hauptdarsteller für kommende Europapokal-Filmchen mit ewigem Wiedererkennungswert zu werden, ist allerdings eine andere Frage.