Trotz großer Nähe sehr fern

Im Nachlass von Walter Janka gibt es keinen Hinweis auf Hans Serelman - trotz verblüffender biografischer Parallelen

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Einmal trennten sie nur 15 Zeilen: Im Postquittungsbuch des KZ Sachsenburg haben Walter Janka und Hans Serelman auf derselben Seite den Empfang von Paketen bestätigt. Unter Ziffer 6055 wird die Übergabe an »Janka, Walter, Chemnitz« quittiert, die Sendung 6071 empfing »Serelman, Hans, Glauchau«. Ob beide am gleichen Tag ausgehändigt wurden, geht aus dem Papier nicht hervor.

Beider Aufeinandertreffen ist keine Ausnahme, es scheint vielmehr fast die Regel: Zwischen dem Mediziner und Kommunisten Serelman sowie Janka, Verleger und Kommunist, der am 29. April 100 Jahre alt geworden wäre, gibt es verblüffende biografische Parallelen. Es käme angesichts dessen fast einem Wunder gleich, wenn die Männer einander nicht wahrgenommen hätten.

Bevor sich ihre Wege in Sachsenburg erstmals direkt kreuzten, hatten Janka und Serelman für die KPD gearbeitet: ersterer als Organisationsleiter des Jugendverbands in Chemnitz, letzterer im 35 Kilometer entfernten Glauchau. Janka, der wegen Hochverrats verurteilt worden war, hatte vor der Überstellung nach Sachsenburg bereits anderthalb Jahre im Zuchthaus Bautzen gesessen.

Im Herbst 1935 wurde er in die Tschechoslowakei abgeschoben - und kreuzte in Prag so erneut den Weg Serelmans, der im September des Jahres dorthin floh. Über Wien erreichte der Arzt im April 1937 dann Spanien und schloss sich dort der Thälmann-Brigade an - in der Janka bereits seit Ende 1936 kämpfte. Im April 1937 gehörte dieser - allerdings nur kurz - sogar dem Stab der 11. Brigade an, der sich Serelman anschloss. Janka wurde dann jüngster Hauptmann der spanischen Volksarmee und in der Schlacht am Ebro schwer verletzt.

Dass an dem Gefecht auch der Mediziner Serelman beteiligt war, verwundert angesichts des Verlaufs des Kriegs wenig. Weniger zwangsläufig erscheint, dass sich beider Wege noch einmal kreuzten, und zwar im Lager Le Vernet. Dorthin wurde, wie aus Unterlagen im »Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR« im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde hervorgeht, im Sommer 1940 die Leitung der KPD verlegt, die zuvor in Gurs tätig war. In den Dokumenten wird Janka als einer der Verantwortlichen genannt; erwähnt wird aber auch, dass »Serelman aus Glauchau« bereits in Le Vernet saß. 1943 floh dieser, schloss sich der Rèsistance an und wurde im Sommer 1944 ermordet. Janka war bereits 1941 aus dem Lager geflohen; er ging über Casablanca ins Exil nach Mexiko.

Der Umstand, der angesichts dieser biografischen Parallelen am meisten erstaunt, ist das Fehlen jedes Hinweises auf Serelman in Aufzeichnungen Jankas. Das ergab zumindest eine Anfrage des Serelman-Forschers Konstantin Seifert bei André Janka, Sohn des Verlegers. In einer freundlichen Mail verneinte dieser eine Erwähnung Serelmans und fügte hinzu, dass auch seine Schwester, »die mit einem guten Gedächtnis ausgestattet ist«, keine Erinnerung an den Namen habe. Warum das so ist, muss Spekulation bleiben. Eine These zumindest hat Seifert. Er weist auf Äußerungen Jankas hin, der sich in seinen »Erinnerungen eines deutschen Verlegers« distanziert über Rechtsabweichler und Trotzkisten äußerte. Als solcher wiederum war Serelman in Spanien im Zuge des Versuchs, ihn aus der KPD zu werfen, diffamiert worden. Und womöglich, mutmaßt Seifert, hatten sich Janka und der 16 Jahre ältere Serelman auch »einfach nicht viel zu sagen«. hla

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