nd-aktuell.de / 24.03.2014 / Politik / Seite 14

»Katastrophe in Zeitlupe«

In Staufen wölbt sich nach Bohrungen die Erde - bereits 270 Gebäude sind beschädigt

Jürgen Ruf, Staufen
Das kleine Staufen in Baden-Württemberg gerät aus den Fugen. Seit fast sieben Jahren bewegt sich nach einer Geothermiebohrung die Erde. Jetzt fließen die ersten Hilfs-Millionen. Doch der Verfall geht weiter.

Die Stadt bewegt sich. Seit knapp sieben Jahren leidet Staufen vor den Toren Freiburgs unter den Folgen einer missglückten Erdwärme-Bohrung. Weil der Untergrund dadurch in Bewegung geriet, gehen dicke Risse durch die Häuser der malerischen Stadt in Baden-Württemberg. Rund 270 Gebäude sind beschädigt. Außenwände haben große, offene Spalten, innen und außen fällt der Putz ab. Auch viele historische Altbauten sind betroffen.

Baden-Württembergs Landesregierung und andere Kommunen helfen jetzt mit Geld. Es ist die erste größere Finanzhilfe für Staufen. Doch das Problem ist damit nicht gelöst. Denn ein Ende der zerstörerischen Erdbewegungen ist nicht in Sicht.

»Es ist eine Katastrophe in Zeitlupe«, sagt Michael Benitz, der Bürgermeister der 7500 Einwohner zählenden Gemeinde am Rande des Schwarzwalds. Staufen mit seiner unter Denkmalschutz stehenden Altstadt ist ein überregional bekannter Touristenort. »Die Menschen kommen, weil es hier so schön ist. Doch die Stadt droht zu zerbrechen«, sagt Benitz.

Mit seinem Rathaus befindet er sich genau im Zentrum des Geschehens. Direkt hinter dem Gebäude gab es im Sommer 2007 mehrere Bohrungen nach Erdwärme. Eine neue Heizung für das Rathaus sollte mit der umweltfreundlichen Energie betrieben werden. Doch die Bohrsonden trafen im Untergrund auf eine Erdschicht, die Staufen bis heute keine Ruhe mehr lässt.

»In Verbindung mit Grundwasser verwandelt sich diese Erdschicht in Gips, die Schichten quellen auf und die Erde hebt sich«, erläutert Benitz. Seit fast sieben Jahren geht das so. Fast 60 Zentimeter haben sich Teile der Stadt schon angehoben. Die Statik der Gebäude gerät dadurch immer mehr in Schieflage. Und Experten gehen davon aus, dass diese Entwicklung andauern wird. Denn die Erde bewegt sich noch immer, obwohl die Bohrungen selbst schon lange eingestellt sind. Ein Weg, das Aufquellen des Bodens zu stoppen, wurde bislang nicht gefunden.

Für die Geothermie mag sich in Staufen seither kaum einer mehr erwärmen. Denn die Folgen sind in weiten Teilen der Stadt zu erleben, vor allem im historischen Kern. Große Risse durchziehen dort die schön renovierten Gebäude mit Wappen und Fensterläden. Viele Häuser müssen abgestützt werden. Ein Gebäude, errichtet im Jahre 1915, ist bereits abgerissen worden. Es war rund einen halben Meter in die Höhe gegangen und drohte einzustürzen.

»Nirgendwo auf der Welt gibt es einen Ort, den es derart zerreißt wie Staufen«, meint Csaba-Peter Gaspar. Der 68-jährige Unternehmensberater steht in seiner Wohnung in der Altstadt von Staufen. Auch bei ihm gibt es große Risse, Mauern werden instabil.

Der Schaden in der Stadt wird auf mehr als 50 Millionen Euro geschätzt. Doch genau weiß das niemand. »Es kommen ja jeden Tag neue Schäden hinzu«, sagt der Bürgermeister. Land, Kommunen und die Stadt Staufen stellen nun 30 Millionen Euro bereit. Das Geld sei eine große Hilfe, werde aber nur für die Absicherung der Gebäude reichen, wenn überhaupt, sagt Riss-Opfer Gaspar. »An Sanierung oder Wiederaufbau ist noch lange nicht zu denken.«

Unüberlegtes Bohren nach Erdwärme und die für die Region typische Bodenbeschaffenheit waren die kritische Mischung, die Staufen zum Verhängnis wurde. Ähnliche Probleme gibt es zwar vereinzelt auch in anderen Orten, zum Beispiel in Böblingen und Leonberg bei Stuttgart sowie im Dorf Lochwiller im Elsass. Doch nicht in diesem Ausmaß.

Der Ort und die meisten Menschen dort haben gelernt, mit dem immer weiter wachsenden Problem zu leben. Um Geld für den Wiederaufbau zu sammeln, verkauft die Kleinstadt Andenken und wirbt mit Prominenten um Hilfe. Rote Aufkleber an den Gebäuden, oft schräg über die Risse geklebt, machen auf die Kampagne aufmerksam.

»Es gibt immer mehr Touristen, die extra wegen der Risse hierher reisen«, sagt der Einzelhändler Alfred Rinderle. Eine Tendenz, die ihm so nicht behagt: »Zur Touristenunterhaltung sollen die Risse nicht dienen.« dpa/nd