Gehwege und Bürgersteige

Von Jürgen Amendt

  • Lesedauer: 3 Min.

Nicht einmal zehn Prozent meines täglichen Weges zur Arbeit kann ich mit meinem Fahrrad auf Radwegen zurücklegen - wenn es hoch kommt, sind es 200 Meter von knapp 3,5 Kilometern. Seit kurzem haben sich zu diesen 200 Metern allerdings weitere 200 gesellt. Der Zuwachs geht auf ein bürgerschaftliches Engagement zurück, das von mir höchstselbst initiiert wurde.

Der wahrhaft aufrührerische Akt ereignete sich vor wenigen Tagen auf der Rückfahrt aus dem Büro. Wie jeden Tag nutzte ich für einen Teil der Strecke den Bürgersteig. An besagter Stelle ist dieser so breit, dass bequem fünf Fußgänger und zwei Fahrräder Platz hätten - und zwar nebeneinander! Selbstverständlich könnte ich auch auf der Straße rollen, aber welcher Radfahrer tut das schon, wenn er bequem mit gemächlichem Tempo und vor allem gefahrlos den Bürgersteig nutzen kann?

Nun ist es so, dass just dort ab und an Mitarbeiter des Ordnungsamtes rumlungern, um unbescholtenen Fahrradfahrer Wegzoll abzupressen. Seit Michael Kohlhaas scheint sich nicht viel zum Positiven verändert zu haben - allerorten Raubgesindel, das sich als Staatsmacht tarnt.

Aber nicht mit mir, meine Herren Fahrradkontrolleure! Schon vor Monaten reifte in mir der Plan, wie ich auf diesen Ausfluss staatlicher Willkür reagieren werde, sollte ich mit dieser Macht kollidieren. Kaum hatte mich an besagtem Tag der Aufpasser vom Amt angehalten um mir in belehrendem Ton meinen Regelverstoß zu erklären und mich anschließend abzukassieren, legte ich einen Auftritt hin, der eines Andreas Hofers würdig gewesen wäre. »Mein verehrter Herr Kontrolleur«, begann ich mit fester Stimme. »Wissen Sie eigentlich, wo wir uns hier befinden? Jawoll, auf einem Bürgersteig! Und sind wir nicht alle Bürger, die selbst bestimmen dürfen, wie dieser Bürgersteig genutzt wird?«

Mittlerweile hatte sich eine Handvoll Volk um mich und die Amtsperson versammelt, die mir interessiert lauschten. Dies ausnutzend, hob ich zu einer Rede an die Bürger an. »Liebe Mitbürger«, sagte ich, »ist hier nicht genug Platz für alle - für Fußgänger ebenso wie für Radfahrer?«

Zustimmendes Murmeln selbst von Fußgängern bestärkte mich, der Staatsmacht noch unbefangener die Stirn zu bieten und zu einer spontanen Volksabstimmung aufzurufen. Mein Antrag, die Hälfte des Gehweges zum Radweg zu deklarieren, erhielt eine deutliche Mehrheit. Erhobenen Hauptes und mit der Gewissheit, der herrschaftsfreien Assoziation solidarischer Individuen (Karl Marx) wieder ein Stück näher gekommen zu sein, bestieg ich Don Quichotte wieder meinen Drahtesel und fuhr von dannen .

Dann klingelte der Wecker. Es war nur ein Traum - und ich erinnerte mich an den alten Heine, der dereinst treffend bemerkte: »Franzosen und Russen gehört das Land / Das Meer gehört den Briten / Wir aber besitzen im Luftreich des Traums die Herrschaft unbestritten«.

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