Doppelstockbett am Ostkreuz

In der ehemaligen Hochschule für Elektrotechnik soll eine Jugendherberge entstehen

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 3 Min.
Hostels gibt es in Berlin viele. Die Jugendherbergen in der Stadt wollen Jugendlichen nicht nur einen Schlafplatz sondern auch ein Rahmenprogramm bieten.

Das Ostkreuz schläft nie. Auch wenn die Züge nachts nicht mehr fahren, was auch nur von Montag bis Donnerstag der Fall ist, die Bauarbeiten stoppen nicht. Genauso wenig die Feiernden, die auf dem Weg in Berlins Clubs, Bars und Kneipen fast die ganze Nacht hindurch die Warschauer Straße bevölkern. Tagsüber wird auch nicht geschlafen, viele kleine Boutiquen, Ateliers, Imbisse und Restaurants und die große Popkultur, die hier Ansässig ist, halten das ehemalige Arbeiterquartier wach.

Genau hier entsteht bis 2016 eine neue Jugendherberge. Direkt neben dem S-Bahnhof, am Rande der Victoriastadt, soll ein 1907 als Mädchen- und Jungengymnasium gebautes und bis 2009 von der Hochschule für Elektrotechnik genutztes Gebäude umgebaut werden. Noch ist das Gelände verwildert, noch liegen überall Stapel von Baumaterial, welches am Ostkreuz gebraucht wird. Doch die roten Backsteinmauern, die hohen Bogenfenster und die vielen Türmchen auf dem Dach erlauben es, sich hier einen Ausgangspunkt für Abenteuer in der großen Stadt auszumalen.

Hostels gibt es viele in Berlin, direkt gegenüber, auf der anderen Seite der Gleise, wirbt eines auf einer ganzen Hausfassade. Doch haben Jugendherbergen einen anderen Anspruch als nur Ausgangspunkt für Feierwütige zu sein. Seit über 100 Jahren will das Deutsche Jugendherbergswerk (DJH) es jungen Menschen ermöglichen, unabhängig von Herkunft und Geldbeutel, die Welt zu entdecken, Gemeinschaft zu erleben und so den eigenen Horizont zu erweitern. Der gemeinnützige Verein will seinen Mitgliedern (denn nur die können das Angebot von Jugendherbergen nutzen) ein pädagogisches Angebot stellen, dass »die Jugend fördert, nicht nur den Tourismus«. Marcus Hirschberg, Pressesprecher des Landesverbandes Berlin-Brandenburg, sieht die Hauptstadt mit den bisherigen drei Jugendherbergen gut positioniert, den Bedarf an qualitativ hochwertigen und dabei kostengünstigen Unterkünften zu decken. »Aber natürlich schadet eine weitere Jugendherberge auch nicht.«

Die neue Herberge wird mit 445 Betten das Angebot in Berlin erweitern, mit bis zu 100 000 Übernachtungen pro Jahr wird gerechnet. Darüber hinaus sollen 18 Veranstaltungsräume und eine Aula Platz für ein breites pädagogisches Angebot bieten. Ein integriertes Jugendbildungszentrum mit modern ausgestatteten Seminarräumen ermöglicht der Jugendherberge »zusammen mit dem Standort Hauptstadt einen dritten Lernort bereitzustellen. Hier kann, abseits von Schule und Ausbildungsort, berlinbezogene Erlebnispädagogik angeboten und dadurch neue Erfahrungen mit Gemeinschaft und Zusammenleben gemacht werden«, so Jacob Geditz, Geschäftsführer der Jugendherberge Berlin Ostkreuz gGmbH.

Um die rund zehn Millionen Euro Investitionskosten zu finanzieren, hat das DJH mit zehn Landesverbänden die gemeinnützigen Gesellschaft gegründet. Der Nutzen für die Gemeinheit steht im Vordergrund, die Räumlichkeiten sollen Kindern, jungen Erwachsenen, Vereinen, Verbänden und Organisationen sowie Trägern der freien Jugendhilfe zur Verfügung stehen, und gemeinsame Programmangebote erarbeitet werden. Beispielhaft schon jetzt ist die angestrebte Partnerschaft mit dem Theater Strahl, das heute die Turnhalle auf dem Gelände als Spielstätte nutzt.

Sigrid Klebba, Staatssekretärin für Jugend und Familie, begrüßt das Konzept der neuen Jugendherberge. Die Einrichtung werde einen »wichtigen Beitrag zur Förderung junger Menschen leisten und Berlin jenseits eines rein touristischen Programms in seiner historischen, politischen und kulturellen Vielfalt erlebbar und erfahrbar machen«. Klebba wird auch beim offiziellen ersten Spatenstich am 4. April anwesend sein.

Mit einer perfekten Verkehrsanbindung eignet sich die Jugendherberge nicht nur für Schulklassen, sondern auch für Familien. Allerdings wird es wohl grade für Jugendliche verlockend sein, sich nachts unerlaubterweise wegzuschleichen und Berlin auf eigene Faust zu erkunden. Obwohl, wer weiß, in unmittelbarer Nähe zum Club »about:blank« packt es ja vielleicht auch mal einen Lehrer, sich heimlich nachts von der Klasse zu entfernen. Das Ostkreuz schläft eben nie.

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