nd-aktuell.de / 26.03.2014 / Politik / Seite 5

Lichterglanz und Prinzip Hoffnung

ICANN-Tagung 2014: Das Internet zwischen Selbstverwaltung, Kommerz und staatlicher Kontrolle

Michael Lenz, Singapur
Soll das Internet künftig von den verschiedenen Interessengruppen verwaltet werden oder vielleicht durch die UNO? Diese Frage beschäftigt eine Tagung in Singapur.

Die Aussicht auf Singapur von der Kleinbrauerei Level33 im 33. Stock des Turm 1 des Marina Bay Financial Centre ist atemberaubend. Rund um die Marina-Bucht funkeln die Lichter der Fünfsternehotels, glitzert die farbenfrohe Beleuchtung eines Kasino-Komplexes, strahlen die Positionslichter der vielen Hundert auf Reede liegenden Schiffe. Die Gäste des »deutschen Abends« sind von dieser Lichtersinfonie begeistert. Bei Roastbeef, Meeresfrüchten und frisch gebrautem Lager aus den glänzenden Kupferkesseln hinter dem Tresen bereitet sich die Creme der deutschen Internetwirtschaft auf die weiteren Gespräche bei der 49. Tagung der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) vor, die am vergangenen Sonntag begann und an diesem Donnerstag zu Ende geht.

Die Party in der Edelkneipe mitten in Singapurs Finanzdistrikt symbolisiert, dass das Internet erstens ein Milliardengeschäft ist und zweitens die technischen Macher und Betreiber des weltweiten Netzes hoch oben über der schnöden Realität von Otto-Normal-User schweben. Durch den NSA-Skandal interessiert sich aber neuerdings eine breitere Öffentlichkeit dafür, wer dieses Internet eigentlich verwaltet. Die ICANN, gerne als »Weltinternetregierung« tituliert, ist dabei so etwas wie der Dreh- und Angelpunkt. Die bis vor kurzem ausschließlich in den USA beheimatete Vereinigung vergibt die Top Level Domains (TLD). Das sind die Kürzel hinter dem Punkt einer Internetadresse.

Eine, die sich besonders für die globale Verwaltung des Internets interessiert, ist Brasiliens Präsidentin. Dilma Rousseff war genauso von dem US-Geheimdienst abgehört worden wie die deutsche Kanzlerin. In einer Rede vor der UN-Vollversammlung forderte Rousseff, anders als Angela Merkel, Konsequenzen aus der globalen Lauschaktion der NSA, verlangte nach Regulierung des Internets und drohte mit einer Nationalisierung. Das rief den Präsidenten der ICANN, Fadi Chehadé, auf den Plan. Bei einem Treffen mit Rousseff im Herbst 2013 warb Chehadé für das Selbstverwaltungsprinzip durch ein »Multi-Stakeholder-Modell«, in dem Regierungen, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam das Internet regeln. Daraus wurde die Idee der Konferenz NetMun-dial geboren, die im April in Sao Paulo stattfindet. Vertreter der Internetwirtschaft, der Zivilgesellschaft und von bisher 120 Regierungen haben ihre Teilnahme zugesagt.

Hartmut Glaser hat sein »ICANN-Büro« an einem Tisch im Raffles City Convention Centre in Singapur aufgeschlagen. Hier sitzt der gebürtige Berliner mit brasilianischem Pass und einem mit vielen bunten Aufklebern von Internetorganisationen verzierten Macbook den ganzen Tag wie die Spinne im Netz. Der joviale Chef des Brasilianischen Internetsteuerungskomitees und Cheforganisator der NetMundial grüßt leutselig die Vorbeikommenden, wirbt in vielen kleinen Schwätzchen für die Konferenz. »Sie soll der Startschuss für eine globale Internetverwaltung durch ein Multi-Stakeholder-Modell werden«, sagt der ehemalige Dozent für Elek-tronik an der Universität Sao Paulo. »Wenn es gut läuft, werden sich die Teilnehmer am Ende auf ein Grundsatzpapier und eine Roadmap geeinigt haben.«

Michael Rotert, Präsident des Verbands der deutschen Internetwirtschaft (ECO), hegt dagegen wenig Hoffnung, dass dann schon eine Einigung auf Grundprinzipien eines freien Internets gelingt. »Jeder Teilnehmer ist aufgefordert, in zehn Punkten seine Vorstellung von Internetverwaltungsprinzipien abzugeben. China hat darauf verzichtet und stattdessen einen Verhaltenskodex vorgelegt. Das mag der Rest der Welt gar nicht«, sagt der deutsche Internetpionier.

Der Informatikprofessor erteilt auch der Vorstellung eine Absage, die bisher im wesentlichen auf technische Aufgaben beschränkte ICANN könne zusätzlich eine netzpolitische Funktion wahrnehmen. »Die ICANN soll bei ihren technischen Leisten bleiben«, betont Rotert. Für eine globale Internetpolitik, die auch Menschenrechte und Datenschutz umfasst, müsste ein sehr viel breiter angelegtes Multi-Stakeholder-Modell geschaffen werden. Ob das gelingt, bezweifelt Rotert wegen seiner Erfahrungen mit bisherigen Debatten über die globale Internetverwaltung: »Die sind schlimmer als Klimakonferenzen.«

Die Ankündigung der USA, die IANA-Funktion - also die Registrierung der IP-Adressen der Internetnutzer - abgeben zu wollen, hat der Debatte eine unerwartete Dynamik verpasst. Bislang nimmt die ICANN die IANA-Aufgaben unter Vertrag mit den USA wahr. Die US-Vertreter haben bei der Tagung in Singapur deutlich die Bedingung formuliert, dass für sie nur die Selbstverwaltung durch Technologieunternehmen, Vertretern der Zivilgesellschaft, Verbänden und Universitäten in Frage kommt. Das ist eine Provokation für autoritäre Regierungen wie in China und Russland, die die IANA-Funktion der Internationalen Fernmeldeunion (ITU), einer UN-Organisation, übertragen möchten. Dann hätten die Regierungen das Sagen.

Ob die ICANN-Tagung in den auf arktische Temperaturen gekühlten Konferenzräumen am Donnerstag in Singapur mit einer förmlich beschlossenen Empfehlung für Sao Paulo endet, ist fraglich. Im Regierungslager haben bereits Staaten wie Indien, Südafrika und Iran vor einer Festlegung auf ein Multi-Stakeholder-Modell gewarnt. Kritische Stimmen aus der Netzgemeinde warnen indes vor einer zu großen Machtfülle der ICANN.