Depression im Volkspark

Hamburger SV noch ein Tor vom Abstiegsplatz entfernt

  • Erik Eggers, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.

Nicht lange her, dass Carl-Edgar Jarchow bekannte, sich mit einem Abstieg des Hamburger SV nicht zu beschäftigen. »Nein, wir haben keinen Plan B«, sagte der HSV-Vorstandsvorsitzende Anfang Februar, und versuchte, sehr, sehr entschlossen zu wirken. Die Aussage, so Jarchow sie überhaupt ernst meinte, stellte eine grobe Fahrlässigkeit dar - und eine brutale Fehleinschätzung der Lage.

Nach den Wochen der Wahrheit, begonnen mit der Verpflichtung des neuen Trainers Mirko Slomka, ist die Situation für das traditionsreichste Mitglied der Fußball-Bundesliga trister denn je. Sie hatten gehofft, mit den Spielen gegen direkte Konkurrenten (in Bremen, gegen Frankfurt, gegen Nürnberg, in Stuttgart und am Mittwoch gegen Freiburg) die nötigen Punkte einzufahren gegen den Abstieg. Herausgekommen sind nach dem 1:1 (0:0) gegen den SC Freiburg: fünf magere Zähler. Der HSV steht auf dem Relegationsplatz, nur durch ein Tor vom direkten Abstiegsplatz entfernt, und schaut in den Abgrund.

Wie bedrohlich die Situation vor der Auswärtspartie am Sonntag in Mönchengladbach ist, demonstrierte die Atmosphäre im Stadion nach Abpfiff: Ein Friedhof ist eine Diskothek dagegen. Die Fans gingen schweigend nach Hause, kopfschüttelnd. Nichts mehr zu spüren von jener Wut, mit der einige Zuschauer noch im Februar die Profis beschimpft hatten. Es ist nur noch Depression im Volkspark.

Den einzigen Funken Hoffnung verkörpert Pierre-Michel Lasogga. Der 22-Jährige, nach seiner Muskelverletzung wieder genesen, hatte sich mit Verve in dieses Spiel geworfen, hatte viel gearbeitet, war weite Wege gelaufen, holte sich notfalls selbst die Bälle. Er kam zu einigen Chancen. Dass nur er das Tor erzielen konnte, war logisch. »Wir haben gezeigt, dass wir den Kampf annehmen«, sagt Lasogga später. »Ich glaube an die Mannschaft.«

Das klingt nach Zuversicht, aber dieser halbe Optimismus hat wenig Substanz. Die größte Baustelle ist derzeit das Mittelfeld; die defensiven Akteure Milan Badelj und Tolgay Arslan kriegen den Aufbau nicht den in Griff, Jaques Zoua, der sich am Mittwoch auf der rechten Sturmseite probierte, ist schlichtweg nicht bundesligatauglich.

Auch Rafael van der Vaart befindet sich im krassen Leistungstief und kann dem HSV nur bei Freistößen und Eckbällen helfen. Wenn Leute wie Marcell Jansen (Verletzung) und Hakan Calhanoglu (Rotsperre) ausfallen, geht offensiv nichts mehr beim HSV, wie der Mittwoch erneut belegte: Nach dem 1:1-Ausgleich in der 55. Minute kam kein gefährlicher Ball mehr auf das Freiburger Tor.

Die Atmosphäre ist bei den Fans auch wegen des Restprogramms so gespenstisch: Neben vier Auswärtspartien in Gladbach, Hannover, Augsburg und Mainz kommen mit Leverkusen, Wolfsburg und den Bayern drei starke Gegner in den Volkspark. Nicht wenige Fans fürchten schon, dass der nach Hannover ausgeliehene Stürmer Artjoms Rudnevs seinem Klub den Todesstoß versetzen wird. Es wäre die passende Schlusspointe dieser Spielzeit, die mit schon zwei Trainerentlassungen (Fink, van Marwijk) als Horrorgeschichte erzählt wird.

Neu immerhin, dass der Vorstand sich klar ist über das Szenario des Schreckens. Es sei müßig, mit den Profis über die Zukunft zu diskutieren, verkündete HSV-Sportdirektor Oliver Kreuzer diese Woche. Klingt danach, als hätten sie doch mal durchgespielt, was passieren könnte bei einem Abstieg. Dann dürfte es, angesichts der prekären Kassenlage (knapp 100 Millionen Euro Schulden), um die Existenz des Traditionsklubs gehen. Auch darauf sollte man eigentlich länger vorbereitet sein.

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