Notgedrungen in der Hosenrolle

Die Geschwister Brontë - »Schwestern im Geiste« in der Neuköllner Oper

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 4 Min.

»Skandal - Erfolg«. So wie im lebhaft gesungenen und getanzten Song des Musicals »Schwestern im Geiste« stellt sich die Frage nach der Qualität der neuen Koproduktion der Neuköllner Oper mit dem Studiengang Musical der Universität der Künste keineswegs. Das Stück - unaufdringlich ins Bühnenbild von Ulrike Reinhard und die Kostüme von Anna Hostert gebracht - ist erfolgreich und stößt auf großes Interesse, selbst oder gerade weil es mit ernsthaftem Hintergrund zweifellos unterhaltsam, aber keineswegs als bloßes Amüsement zu sehen ist.

Denn traurig muss man das Leben der britischen Geschwister Brontë nennen, auf deren Schicksal das Stück beruht. Allesamt voller Fantasie und schriftstellerisch begabt, starben sie jung in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Eine gute Zeit für Menschen in Armut gibt es nie - doch diese Epoche war vor allem für Frauen übel. Zu den seinerzeit aufsehenerregenden Büchern der drei Schwestern, die sie notgedrungen in der Hosenrolle unter den männlichen Pseudonymen Currer, Ellis und Acton Bell veröffentlichten, um bei Verlagen eine Chance zu haben, wird in den Bibliotheken noch immer gegriffen.

Autor und Regisseur Peter Lund stellt Parallelen zum Heute her. In der Auseinandersetzung mit dem Thema Selbstbestimmung bringt er beide Zeiten gleichzeitig ins Spiel. Spürbar, wie stark sich die professionell agierenden diesjährigen Absolventen des Studiengangs identifizieren.

Dementsprechend überzeugend erzählen sie singend und tanzend vom Schicksal der drei Schwestern Brontë und ihres Bruders, die - schon 165 Jahre tot - zunächst lebendiger wirken als die zwei Berliner Schülerinnen kurz vor dem Abitur in Parallelszenen. Die sollen sich im Literaturkurs mit dem Buch einer der Brontë-Schwestern beschäftigen. Ernsthaft geschieht das bei der türkischen Aydin (Jaqueline Reinhold). Milly (Rubini Zöllner) dagegen ist desinteressiert.

Diese beiden Figuren sind gut gezeichnet und dementsprechend gespielt. Aydin von ihrer Kultur und Familienzwängen diszipliniert. Milly, von den Eltern nicht geliebt, bockbeinig verkrampft und aggressiv. Dass sie sich in der Handlung zwar entwickeln, ihre wesentlichen Züge aber nicht ablegen, macht sie glaubhaft. Auch, wie sie nach Selbstbestimmung suchend ihre Grenzen unterschiedlich ausloten. Dabei bringt sie die durchaus selbst mit sich hadernde Lehrerin Lotte Birkner (Teresa Scherhag) weiter. Doch nicht von ungefähr legte sie ihren Schülerinnen ein Brontë-Werk auf den Tisch.

Leidenschaft und das, was ihnen Leiden schafft, macht die Darstellung der Brontë-Schwestern aus. Sie erfuhren wenig Liebe. Wie sie sich ihren Möglichkeiten entsprechend auflehnen und dem zeitgenössischen Vorurteil begegnen, dass Klugheit Frauen hässlich mache, beeindruckt. Keineswegs gleichförmig, mit persönlichen Stärken und Temperament versehen und unterschiedlich in der Verantwortung belastet, werden sie von Keren Trüger als Charlotte, Katharina Abt als Anne und Dalma Viczina als Emily verkörpert.

Ihnen zur Seite gestellt ist Sabrina Reischl als Hausangestellte Tabby. Choreografin Neva Howard schuf für sie besonders kecke Bewegungen. Lebenslustig und in Liebesdingen ungezwungen - »Die besten Stücke Fleisch wurden schon immer in der Küche gegessen ...« - wird die Bedienstete ebenfalls von den Zuständen auf den ihr zugedachten Platz verwiesen. Männer wie der mit Doppelmoral ausgerüstete Arthur B. Nicholls (Denis Edelmann), der um die älteste Schwester wirbt, sorgen dafür. Die durchaus tragische Rolle des Brontë-Bruders Branwell (Andres Esteban) verblasst zunehmend. Nicht allein, weil er, alkoholkrank, bleich und bleicher wird. Sein Erscheinen als Geist stürzt leider ins Kitschige ab.

Fast unsichtbar ist das mit fünf Musikern an sieben Instrumenten arbeitende kleine Orchester unter bewährter Leitung von Hans-Peter Kirchberg und Tobias Bartholmeß. Sie studierten die einfühlsam stützende wie die Leidenschaft befördernde Musik von Thomas Zaufke ein, die einen nach und nach gewinnt. In der Eröffnungsszene gibt sie sich für die Neuköllner Oper ungewöhnlich schwach. Aufkommende Enttäuschung macht sich aber schnell davon. Der Skandal indes wird mit Erfolg inhaltlich behandelt.

Bis 25.4., Neuköllner Oper, Karl-Marx-Str. 131, Neukölln, Karten ab 13, erm. 9 Euro, Tel.: (030) 68 89 07 77, www.neukoellneroper.de

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