»Evidence« - Werkschau des chinesischen Künstlers Ai Weiwei

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 2 Min.

Der chinesische Künstler Ai Weiwei in seinem Atelier am Stadtrand von Peking auf einem der sechstausend Holzhocker, die inzwischen den Innenhof des Martin-Gropius-Baus in Berlin füllen. Die Installation ist Teil der großen Werkschau »Ai Weiwei - Evidence«, die morgen eröffnet wird. Bei deren Vorbereitung entstand ein Dokumentarfilm gleichen Titels. Er wird, ebenfalls am Mittwoch, auf Arte gezeigt (2.4., 21.35 Uhr).

Die Hocker also sind schon in der deutschen Hauptstadt. Der Künstler nicht. Ai Weiwei sitzt quasi auf gepackten Koffern. Der 56-Jährige - er gilt als einer der wichtigsten Gegenwartskünstler der Welt -, war vor drei Jahren für 81 Tage in ein geheimes Gefängnis verschleppt worden. Dem Regimekritiker, der das Recht auf freie Meinungsäußerung in seinem Land einfordert, Umweltskandale aufdeckte, Korruption geißelt, Reisefreiheit verlang, sollte eine Lektion erteilt werden. Seither steht er rund um die Uhr unter Überwachung, jeder Schritt wird verfolgt. Seinen Reisepass erhielt er bislang nicht zurück. Würde er ohne Pass ausreisen, hätte er kein Rückkehrrecht, es wäre ungewiss, ob er die Heimat, Familie und seinen vierjährigen Sohn dort je wiedersehen könnte.

Den Ausstellungstitel »Evidence« hat Ai Weiwei anspielungsreich gewählt: nach jenem Wort, das, so der Veranstalter, uns aus amerikanischen Krimiserien bekannt ist: der Beweis, möglichst gerichtsfest. Evidence ist auch in dem Sinne zu verstehen, dass einem in dem Augenblick, da man einer Sache ansichtig wird, auch deren innewohnende Wahrheit klar ist.

Was nun insgesamt auf 3000 Quadratmetern in 18 Räumen sowie im Lichthof zu sehen ist, sind Werke und Installationen, die eigens für den Martin-Gropius-Bau entstanden oder noch nie in Deutschland gezeigt wurden. Darunter der akribische Eins-zu-eins-Nachbau der Zelle, in die Ai Weiwei gesteckt worden war, von zwei Bewachern im selben Raum, die Redeverbot hatten, Tag und Nacht beobachtet, und in der 24 Stunden Licht brannte. Mit Handschellen war er an einen Stuhl gefesselt. Das symbolhaltige Material der Nachbildung der Fessel: Jadegestein. Die Hocker, die teils noch aus der Ming-Zeit stammen, wurden von Dorfbewohnern zurückgelassen, als sie auf der Suche nach Arbeit in die Stadt gingen. Bei Ai Weiwei versinnbildlichen sie Verlust: an Familienzusammenhalt, an moralischen Werten.

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